Mittwoch, 23. Januar 2019

Gräber ausmalen, Gitarren zerdeppern und die inneren Dämonen zermantschen - wie das Jugendbuch "Einfach so weg" alle 12- bis 16-Jährigen zu einem kreativen und guten Umgang mit Tod, Trauer und Sterben ermutigt - Buchtipp und gute Hilfe für trauernde Jugendliche

Osnabrück (eb) - Wer als Jugendlicher mit dem Tod konfrontiert ist, der gerät oft in mehrfacher Hinsicht in eine Krisensituation. Vor allem, wenn es sich dabei um den Tod eines Elternteils handelt. Ausgerechnet in dieser ohnehin nicht einfachen Lebensphase, die doch so dermaßen durchzogen ist von der Abnabelung von den Eltern, von großen neuen Unsicherheiten, von der beginnenden Suche nach sich selbst, von einer kompletten Um- und Neuprogrammierung des gesamten Lebens und des Körpers (dass sich tatsächlich das Gehirn neu umpolt in dieser Phase, ist inzwischen erwiesen), grätscht der Tod nochmal so heftig ins Leben rein, dass es besonders ratlos macht. Und das Schlimmste daran: Mit wem soll man darüber reden? Die Kumpel und Klassenkameraden, selbst oft unrfahren, machen einen auf cool und abgeklärt. Die Eltern haben als Ankerpunkt gerade ausgedient. Genau hier setzt ein Buch an, das die Ex-Schauspielerin Ayse Bosse jetzt veröffentlicht hat und das auf geschickte und dennoch spielerische und trotzdem nicht anbiedernde Weise die Generation der etwa 12- bis 16-Jährigen anspricht.

Das ist eine der Erfahrungen, die ich in den bisherigeren Jahren meiner Arbeit als Trauerbegleitung schon öfters gemacht zu haben glaube: Dass es sehr exakt auf die Zielgruppe zugeschnittene Angebote braucht, um Menschen wirklich gut begleiten zu können. Und im Falle von Jugendlichen bedeutet das, die Alterszahlen wirklich auch als Stadien von Entwicklung zu begreifen. Soll heißen: 12 Jahre alt sein bedeutet etwas ganz anderes als 14 Jahre alt sein bedeutet etwas ganz anderes als 16 Jahre alt sein bedeutet etwas ganz anderes als 18 Jahre alt sein... Im Grunde bräuchte es für jede Altersklasse wiederum eigene Angebote. Das Buch von Ayse Bosse und ihrem Co-Autoren Andreas Klammt jedoch schafft den Spagat über mehrere Altersklassen hinweg - und bleibt trotzdem irgendwie cool, ohne sich an die Zielgruppe heranzuwanzen. Es nimmt seine Leser ernst und weiß gut mit ihnen umzugehen. Zum Beispiel, in dem es leere Grabsteine zum Ausmalen anbietet. Und natürlich weitaus mehr.


(Alle Produktfotos: Thomas Achenbach).

Kurze Comics im Stile einer Graphic Novel gehören ebenso dazu wie jede Menge auszufüllende Seiten mit kurzen Impulsen für die Selbstreflektion oder witzige Ausmalbilder wie beispielsweise die "Dämonen-Matsch-Maschine", in der die jugendlichen Leser auch ihre ganz eigenen (inneren) Dämonen zerstören können. Kurze Geschichten und Gedichte finden sich ebenfalls in dem Buch. Und, für mich als Listen-Fan besonders gelungen: Listen mit den besten Trauersongs und Trauerfilmen - zusammengestellt von Jugendlichen aus Trauergruppen, also direkt von der angesprochenen Zielgruppe. Das Buch spiegelt in vielerlei Hinsicht die vielfältige Erfahrung, die die Autorin hat.


Auch Gräber zum Anmalen finden sich in dem Buch.


Denn Ayse Bosse bietet unter anderem Trauergruppen für Jugendliche an, wie sie auf dem Symposium in Sachen Trauer und Trauerbegleitung berichtete, das Ende vergangenen Jahres in Hildesheim stattfand. Organisiert von dem in Hildesheim aktiven Verein "Trauerzeit" und dem dortigen Kolping Bildungs- und Sozialwerk, waren bei dieser Veranstaltung etwa 50 Teilnehmer aus allen möglichen Kontexten versammelt - Hospizarbeit, Trauerredner, Notfalleinsatzkräfte -, um sich über Trauerbegleitung zu informieren. Und in einem am Nachmittag stattfindenden Vortrag stellte Ayse Bosse ihr Werk vor und berichtete von ihren Erfahrungen mit Jugendgruppen. Besonders prägend: Dass man Jugendlichen die für sie mitgebrachten Reflektionseinheiten und Aufgaben immer als Angebot auf Augenhöhe darbieten sollte - also mehr so nach dem Motto "Sag mal, hast Du Bock jetzt dieses und jenes zu machen?" als nach dem üblichen aus der Erwachsenenbildung bekannten Schema "So, wir machen jetzt mal gemeinsam dieses und jenes"... 


Dass Wut und Aggressionen ebenfalls zu einem Trauerprozess dazugehören, als ganz normaler Bestandteil, macht diese Mini-Graphic-Novel deutlich. Nach dem Motto: Somewhere Over The Rainbow? So'n Scheiß!

Man kann sich das gut vorstellen, wie Ayse Bosse, die sich mit ihren rund 42 Jahren selbst noch eine ansteckende jugendliche Frische und Vitalität erhalten hat und mehr so offen-lustig-verwirrt-und-total-locker rüberkommt, die Teilnehmer eines solchen Seminars gut mitnehmen kann. Aus all diesen Workshops mit Jugendlichen weiß sie eben auch, wie wichtig es ist, in der Trauer selbst aktiv zu sein. Und, wie Ayse Bosse es selbst sagte: Sich das eben trauen, so zu trauern, wie man das möchte, weil es da kein richtig oder falsch gibt, das ist halt wichtig. Dass sie zugleich mit dem Indie-Pop-Musiker Bosse aus Hamburg verheiratet ist, hat auch ihrem neuen Buch gut getan.



Dämonen zermantschen. Also mehr so: Innere Dämonen, hier aber sichbar gemacht. Wer würde das nich gerne?

Denn als zusätzliches Gimmick gibt es einen zum Buch dazugehörenden, aber nur über das Buch mitverkauften Song (klar, einen Trauersong), den Bosse zusammen mit dem Rapper Prinz Pi und der Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß geschrieben und eingespielt hat und der, wie das Buch selbst, "Einfach so weg" heißt. Hörenswert, übrigens, denn auf dem Symposium durften wir das Lied einmal auch so anhören. 


Lebt in Hamburg: Die Autorin und Trauerbegleiterin Ayse Bosse. (Stilller-/Carlsen-Verlag-/Presse-Foto)

"Einfach so weg" ist erschienen im Carlsen-Verlag als Hardcover, 176 Seiten, geeignet ab 12 Jahren, 15 Euro.

Übrigens: Noch ein lesenswertes Buch, das viele weitere Tipps für einen guten Umgang mit dem Tod enthält und im lockeren Tonfall existenzielle Fragen rund um den Tod behandelt, ist "The End" von Eric Wrede, hier geht es zu einer Besprechung. 

Transparenzhinweis: Das Buch ist mir auf Anfrage zur Besprechung vom Verlag als Rezensionsexemplar zugeschickt worden.


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.

Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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