Samstag, 28. September 2019

Trauernotizen im Herbst 2019 - Warum in der Trauerbegleitung überwiegend Frauen zu finden sind (und Männer Mangelware sind), wie sich eine Rockband aus dem Tal der Trauer emporgearbeitet hat und ein Filmtipp für eine interessante Trauererfahrung nach dem Suizid eines Bruders, alles echt (Trauerwandung für Evelyn)

Osnabrück/Münster - Dieser Satz hat mich aufhorchen lassen: "Am Ende dieser Tournee können wir wirklich sagen: Wir sind nicht mehr in Trauer" (We're not in grief anymore) - das sagte der Bassist, Sänger und Frontmann der Rockgruppe "Riverside", Mariusz Duda, jetzt am Ende eines Konzerts im Jovel in Münster. Dazu sollte man wissen, dass der feste Gitarrist der Band vor wenigen Jahren im Alter von 40 Jahren plötzlich verstorben ist. Und jetzt ist das Gröbste überstanden? Von der Familie des Filmemachers Orlando von Einsiedel kann man das nun nicht gerade sagen, wie der Dokumentarfilm über ihre Trauerwanderung zeigt - 13 Jahre nach dem Suizid des jüngsten Bruders Evelyn. Anderes Thema, auch interessant: eine Journalistin ist der Frage nachgegangen, warum im Kontext von Hospiz-, Palliativ- und Trauerbegleiterkreisen vorwiegend Frauen zu finden sind. Hier sind ein paar Notizen aus dem Monat September 2019, lose und locker zusammengefasst und einfach im Vorbeigehen so mitgenommen.



Männer und Trauer... Warum arbeiten in der Trauerbegleitung überwiegend Frauen...? In der Neuen Osnabrücker Zeitung erscheint derzeit eine Serie über das Thema "Männer und Frauen". Einen sehr spannenden Beitrag zu diesem Thema hat die Journalistin Monika Vollmer beigesteuert - sie geht der Frage nach, warum es eigentlich im Hospiz-, Palliativ- und Trauerbegleiter-Kontext überall mehr Frauen gibt - manchmal ja sogar: wesentlich mehr Frauen - als Männer - mein Lesetipp des Monats, erreichbar über diesen Link:

https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/1882987/maenner-und-trauer-warum-arbeiten-in-der-trauerbegleitung-ueberwiegend-frauen.

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(Foto. Netflix Media Center/Press Releases)

Wie sehr der Suizid eines Sohnes und Bruders auch noch viele Jahre nach dem Ereignis massive Auswirkungen auf eine Familie hat, zeigt die Filmdokumentation "Trauerwanderung für Evelyn". Ein Film, der in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes ist. Denn der Filmemacher Orlando von Einsiedel, der Sohn eines deutsch-englischen Ehepaares, ist selbst einer der älteren Brüder von Evelyn, der sich wohl als Folge seiner Schizophrenie das Leben genommen hatte. Orlando versammelt 13 Jahre nach dem Suizid seine Geschwister zu einem stets von einem Kamerateam begleiteten Trauerspaziergang, der teils von Eltern oder Freunden begleitet wird. Anstelle eines das Thema allzu stark glättenden Postkartenkitschs erleben wir die tatsächliche Realität von Trauer - wie die Familie das Thema viele Jahre umschifft hatte, wie sie alle noch nicht einmal den Namen des gestorbenen Bruders aussprechen konnten, was es mit ihnen macht, sich all dem jetzt zu stellen. Ein wegen seiner ungeschönten Realität unbedingt sehenswerter Film, der seit Mitte September über den Streaminganbieter Netflix verfügbar ist (alle Infos dazu gibt es auch hier). 

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Einen Tag vorher hatte er noch augenzwinkernd mit einem Minikeyboard in der Hand für ein Facebook-Foto posiert, einen Tag später war er tot: Der Gitarrist Piotr Grudziński  hatte die Progressiverockband "Riverside" mitgegründet und sie bis zu ihren bis dato erfolgreichsten beiden Alben, "The Shrine Of A New Generation" und "Love, Fear And The Time Machine", begleitet. Doch im Februar 2016 hieß es auf der Facebookseite der Rockband plötzlich: "Mit großem Schmerz und Unglauben müssen wir euch mitteilen, dass unser lieber Freund und Bruder Piotr Grudziński uns heute morgen verlassen hat. Wir bitten euch um den Schutz der Privatsphäre der Familie und Freunde."


Derzeit nur als Trio mit Gast-Gitarrist unterwegs: Die Progressiverockband Riverside. Am 21. 9. waren sie im Jovel in Münster zu Gast.  (Foto: Riverside Presse/PR)

Nun war die polnische Rockband im Jovel in Münster zu Gast, mit ihrem aktuellen Album "Wasteland" im Gepäck und mit neuem Gitarristen auf der Bühne. Für mich als einer der Gruppe zugetaner Rockfran und sowieso großer Freund des Progressiverocks ein Pflichttermin. Aber auch für mich als Trauerbegleiter ein interessanter Abend. Nicht nur, weil "Wasteland" für vielen Fans eine musikalische Aufarbeitung des Trauerprozesses darstellt, den die Musiker seit diesem Schock durchlebt haben. Sondern auch, weil am Ende diese Aussage im Raum stand: Wir sind nicht mehr in Trauer. Nach drei Jahren und viel Konzerten mit dem Traueralbum hat sich die Band nun also aus dem Tief herausgearbeitet, so würden viele nun wohl sagen. 



Das ist insofern interessant, als dass am Rande eines Vortrags, den ich neulich gegeben hatte, genau diese Frage wieder auftauchte: Wie lange geht denn eigentlich "Trauer"? Ab wann kann man sagen, jetzt ist es "wieder gut", gibt es einen solchen Zeitpunkt überhaupt? VIele Menschen, die ich nach einem schweren Verlust in ihrer Trauer kennengelernt habe, sagen auch viele Jahre später solche Sätze wie: "Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an die gestorbene Person denke, aber der Schmerz ist nicht mehr so stechend wie vorher - auch wenn die Narben manchmal aufplatzen können". Vielleicht ist es bei den Musikern von Riverside genauso. Denn der gestorbene Gitarrist bleibt an diesem Abend nicht unerwähnt: "Natürlich sind in Wahrheit immer fünf statt nur vier Menschen auf dieser Bühne", sagte Mariusz Duda - und Piotr Grudziński ist im Geiste immer dabei. Wer soweit kommen kann in seinem Trauerprozess, hat ein wichtiges Stück des Weges geschafft - sollte aber dennoch drauf gefasst sein, dass einen diese emotionalen Wellen immer mal wieder einholen und durchaus auch überrollen können.

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.

Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 


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