Eines muss ich gestehen: Ich mag Ricky Gervais sonst nicht so wirklich. Er ist mir in vielerlei Hinsicht zu "zu" - zu brachial, zu derb, zu zotig, zu direkt, zu platt, zu offensiv, zu provokativ. Seine Soloshows und seine Moderationen sind oft wie ein Schlag ins Gesicht, sein komödiantisch überstrapaziertes Dauerthema sind superlange Männerhoden und sein "The Office" mochte ich wegen genau dieser, hahaha, Wortspiel, "Stoßrichtung" auch nicht wirklich. Erst mit dieser Netflix-Serie habe ich mich mit Ricky Gervais wieder ein wenig aussöhnen und anfreunden können - denn der britische Komiker, der hier nicht nur das Drehbuch, sondern auch die Regie verantwortet, zeigt sich hier von einer überraschend menschlichen Seite. Darum geht es: Der Anzeigenblattredakteur Tony Johnson leidet massiv unter dem Krebstod seiner Freundin. Für ihn dreht sich alles nur noch um sie und um seine Trauer - und was das angeht, nimmt er auch selten ein Blatt vor den Mund (eine typische Ricky-Gervais-Figur, eben): Dass er sich am liebsten selbst das Leben nehmen würde, erzählt Tony allen, die ihm irgendwie begegnen. Einmal ist er sogar kurz davor.
Skurille Randfiguren sorgen für Komik und Menschlichkeit
Nur der gemeinsame Hund als überlebender Zeitzeuge und die Verantwortung für ihn hält Tony von seinem Vorhaben ab. Klingt alles ziemlich dramatisch, ist aber stellenweise unfassbar witzig. Erstens, weil Ricky Gervais seinen Tony gekonnt in ein Panoptikum der skurrilsten, aber irgendwie dennoch ganz nah am echten Leben orientierten Figuren eingebettet hat. Alleine der "Fotograf" des Anzeigenblatts - der statt mit einer fetten Spiegelreflexkamera nur mit einer kleinen Digitalknippse arbeitet - ist ein zum Schmunzeln und Mitfühlen anregender Sidekick. Und zweitens, weil "After Life" in Wahrheit eine Comedyserie ist. Wenn auch eine mit Tiefgang. Der Humor ist manchmal recht schwarz und der Ton ist insgesamt lakonisch, alles sehr britisch halt, lässt aber trotz allem eine ordentliche Portion Menschlichkeit zu. Und genau das macht die Serie so besonders: Dass sie bei aller Übertreibung so nah dran ist an der Trauer, so wie Menschen sie wirklich oft erleben.
Hier sind fünf Beobachtungen, die ich in meiner Arbeit als Trauerbegleiter immer wieder gemacht zu haben glaube und die ich auch in der Serie so wiederfinden kann:
Sie sind beide verwaist: Ricky Gervais in der Rolle des Anzeigenblattredakteurs Tony Johnson und sein Hund. (Alle Fotos: Netflix Media Center/Pressreleases) |
2.) Trauernde kommen aus ihrem Leidenszustand kaum heraus - also jedenfalls scheint es den Außenstehen oft so. Und: Es dauert alles wesentlich, wesentlich länger als andere es einem Trauernden zugestehen mögen. "After Life" zeigt das sehr eindrucksvoll, wie es wirklich oft ist: Eigentlich hat keiner der Menschen, mit denen Tony sich täglich umgibt, noch wirklich Lust auf sein "ewiges Gejammere". Dass es sich dabei um echtes, tiefes Leiden handeln könnte, ist in diesem Zustand des Genervtseins längst untergegangen. So erleben das viele Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise: Dass sie nicht nur ungetröstet, sondern auch unverstanden sein müssen. Ich sage immer gerne: Trauer ist das am meisten unterschätzte Gefühl, das es so gibt. Und das unverstandenste, das es oft gibt. Wer an diesem Punkt seiner Lebenswege noch nicht gestanden hat, der kann oft einfach nicht mitreden.
4.) Trauernde sind egozentiert und haben scheinbar keine Antennen für andere Menschen. Das geht natürlich nicht alleine den Trauernden so, vielleicht ist diese Rolle ja genau deswegen so perfekt geeignet für Ricky Gervais? Aber, Ironie beiseite, es ist ja oft so: Sich auf andere Menschen einzulassen, kostet Energie. Es braucht eine gute Selbstregulation, die Fähigkeit, sich selbst in seinem als zerrissen erlebten Inneren irgendwie zusammenreißen zu können. Wer einen anderen Menschen verloren hat, ist dazu oft zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Das ist nicht schlimm. Es darf so sein, das ist okay. Es kommt vielleicht ein bisschen drauf an, wie lange es geht, aber auch hier gilt: Es geht wesentlich länger als andere Menschen sich das vielleicht vorstellen können und es ist immer ein ganz individueller Prozess - wie Trauer überhaupt.
5.) Eine Psychotherapie ist nicht immer hilfreich bei Trauer. Okay, zugegeben, der hier in der Serie gezeigte Psychologe wird sehr bewusst als ein ziemlicher Depp dargestellt. Einer, der mitten im Therapiegespräch zu twittern anfängt, weil einer seiner Studenten dort etwas Blödes über ihn schreibt. Einer, der mitten im Gespräch lauthals zu gähnen anfängt. Irgendwie unsympathisch. Eine Knallcharge, halt, muss es ja auch mal geben. Es ist eben eine TV-Serie des britischen Brachialkomikers Ricky Gervais, und da muss es wohl immer einen geben, den Gervais am Ende ordentlich beschimpfen und mit ungehörigen Wörtern überziehen kann. Geschenkt. Tatsache ist aber, dass eine Psychotherapie bei Trauer nicht immer eine sinnvolle Intervention ist bzw., anders formuliert, dass es sehr stark darauf ankommt, wie der jeweilige Therapeut mit dem Thema umzugehen versteht. Warum? Weil viele Psychologen noch die alte Freudsche Lehre der "Trauerarbeit" verinnerlicht haben, deren Basis oft lautet, dass man die Toten "loslassen" müsse. Dieser Ansatz geht aber im Grunde in die falsche Richtung und trifft nicht die Lebenswelt von Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise.
Menschen wollen mit aller Macht in die Zeitung kommen
Und, übrigens, auch was die Redaktion eines Anzeigenblatts angeht, ist die Serie relativ nah dran an der Realität, wenn auch hübsch übertrieben. Wie hier nach den menschlichen Geschichten außerhalb der aktuellen politischen und sonstigen Nachrichtenlage gesucht wird, wie hier die Menschen mit aller Macht versuchen, Bestandteil der Berichterstattung zu werden - ja, so etwas habe ich zu meinen eigenen Anzeigenblattzeiten auch schon erlebt. Passt.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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