Mittwoch, 23. Mai 2018

Eltern von Sternenkindern haben es besonders schwer, weil keiner ihre Trauer anerkennen mag - ehrenamtlicher Service fertigt kostenlos Bilder von Sternenkindern an, weil das in der Trauer für die Eltern enorm hilfreich sein kann - warum Bilder soviel ausmachen

Für Eltern oft kaum zu ertragen: Wenn das Kinderbett daheim leer bleiben muss.  (Thomas-Achenbach-Foto)

Osnabrück/Bremen - Fotos von Sternenkindern anfertigen? Als Ehrenamt? Das ist tatsächlich ein Service, den eine neue Initiative anbietet. Und für die Eltern, die mit dem Tod ihres Kindes nicht nur in eine schwere Trauer- und Verlustkrise stürzen können, sondern auch noch mit einer gesellschaftlich nicht anerkannten Trauer zu tun haben (Nach dem Motto: "Ihr könnt ja noch so viele Kinder haben..."), kann das eine sehr wertvolle Hilfe sein. Auf der Messe Leben und Tod im Mai 2018 hat sich die Initiative www.dein-sternenkind.eu kürzlich mit einem Stand und einem Workshop vorgestellt. Das hat mich daran erinnert, dass ich auch vor einiger Zeit bereits über diese Initiative berichtet hatte - und kürzlich versprochen hatte, das hier noch einmal nachzuholen, weil ich diesen Text noch gar nicht teilen konnte.

Mein Artikel über diesen Service fand sich bereits in der ON-Ausgabe (Osnabrücker Nachrichten) vom 10. 12. 2017, das war der Sonntag, an dem im vergangenen Jahr das World Wide Candle Lighting zum Gedenken an alle gestorbenen Kinder stattgefunden hatte. Gerne würde ich hier einen Link zu der Online-Version des Artikels hier einfügen, aber das lässt sich wegen einer technischen Umstellung im ON-E-Paper/Onlineauftritt derzeit leider nicht anbieten. Wie gut also, dass sich zumindest an dieser Stelle eine Möglichkeit bietet, den Text auch online anzubieten. Hier habe ich also den Text des Artikels in diesen Blog einkopiert....

In der Trauer können Fotos helfen


Fotografenservice fertigt kostenlos Bilder von Sternenkindern an – auch in der Region Osnabrück aktiv


Osnabrück (ON) – Gerade als die Freunde zum Grillen eingetroffen waren, kam die Nachricht via Smartphone – oder, wie Sabine Wiek es beschreibt, der „Call“: Die Geburt eines Sternenkindes im Marienhospital stand kurz bevor, die Eltern wünschten sich den kostenlosen Fotografenservice von „Dein Sternenkind“, für den Wiek arbeitet. Also mussten die Freunde erstmal alleine grillen – sie hatten jedoch Verständnis dafür. Was Sabine Wiek hier anbietet, ist reines Ehrenamt. Und extrem wichtig für die Eltern in einer der schwierigsten Situationen, die das Leben bieten kann.

Immer, wenn am zweiten Sonntag im Dezember um 19 Uhr das „World Wide Candlelighting“ stattfindet, dann wird wieder aller verstorbenen Kinder gedacht. Jeder, der mag oder der betroffen ist, kann eine brennende Kerze ins Fenster stellen. So zieht sich ein Lichterband um die Welt.

So hat der ON-Artikel am 10. 12. 2017 ausgesehen. 

Ein guter Anlass auch dafür, den Dienst vorzustellen, den die Initiative „Dein Sternenkind.eu“ anbietet – nämlich das Fotografieren der Kinder nach der Geburt. Der gestorbenen Kinder, bedeutet das.

Warum das so wichtig sein kann, ist für alle Nicht-Betroffenen oft nur schwer zu begreifen. Und doch kann es für Eltern im laufenden Trauerprozess hilfreich sein, um diese Verlässlichkeit zu wissen: Ja, das Kind hat es wirklich gegeben, ja, wir haben es auf dem Arm gehabt, ja, wir sind Eltern. 

Darin schwingt die Anerkennung mit, dass eben ein „vollwertiger Mensch“ zu früh wieder gehen musste und nicht ein Etwas, das diese Definition nicht verdient hätte. Die Trauer um ein Sternenkind ist oft etwas, das Eltern von ihrem Umfeld eher aberkannt wird – „Du kannst ja noch so viele Kinder haben“, heißt es dann.

Zwar hat sich unter Eltern durchgesetzt, alle Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind, als Sternenkinder zu bezeichnen. Ganz richtig ist das jedoch nicht. Wie die dpa (Deutsche Presse-Agentur) im Februar 2016 schrieb, gibt es Schätzungen zufolge bundesweit jährlich zwischen 100 000 und 200 000 Fehlgeburten. Aber diese Zahlen sagen wenig aus. Denn: Anders als bei Totgeburten – laut medizinischer Definition Föten über 500 Gramm – besteht bei den Sternenkindern – die unter 500g wiegen oder vor der 24. Woche gestorben sind – keine Meldepflicht. „Die Anzahl der Kinder, die mit weniger als 500 Gramm lebend zur Welt kommen und sterben, ist nicht bekannt“, so schrieb es die dpa weiter.

Tatsächlich gibt es eine große Dunkelziffer, weil sich Eltern von Sternenkindern auch selten in die Öffentlichkeit trauen. Was traurig ist, denn ihr Leid ist oft groß.
Für die 40-jährige Sabine Wiek ist die Teilnahme eine Ehrensache und ein Ehrenamt. „Einfach nur Geld spenden ist nix für mich“, sagt die lebensfrohe Frau im Gespräch mit den ON, „ich kann da besser etwas tun.“


Dürfen wir uns wirklich Eltern nennen, auch, wenn unser Kinderschlafsack leer bleiben wird? Vor dieser Frage stehen die Eltern von Sternenkindern oft. Wenn sie dann die Fotos von ihrem Kind anschauen, fällt ihnen die Entscheidung vielleicht leichter. Zu sagen: Wir sind Eltern. (Thomas-Achenbach-Foto).

Sie arbeitet für den Dienst, ohne dass sie übrigens jemals selbst von einem solchen Fall betroffen gewesen wäre, einfach nur, weil sie sich als einen so empathischen Menschen beschreibt. Als alleinerziehende Mutter (mit zwei Kindern lebt die eigentlich als Buchhalterin in einem Pflegedienst arbeitende Wiek im Stadtteil Eversburg. Von dort aus geht es auf ihre Einsätze in Sachen Sternenkind, die sie schon nach Gronau, Meppen, Rheine oder in die Kliniken des regionalen Niels-Stensen-Verbundes geführt hat. Nur bei einem in Hannover geplanten Einsatz musste sie einmal passen. Was aber kein Problem ist: Es gibt mehrere für die Aktion arbeitende Fotografen, auch in unserer Region, man stimmt sich ab, einer findet sich immer.

Die Einsatzgebiete sind recht groß gehalten, was mit der Programmierung der Calls zu tun hat. Diese Alarmrufe – die von ebenfalls ehrenamtlich arbeitenden Administratoren gesteuert werden– gehen an eine auf das Smartphone installierte App, über die die Einsätze geplant und koordiniert werden. Manchmal bleibt noch etwas Zeit, um den Einsatz gut organisieren zu können – die Kinderbetreuung, Arbeitgeber, Freunde oder Verwandte müssen ja ggf. informiert werden –, manchmal, so wie beim Grillen, muss es schnell gehen.

Auch wenn die Fotografen die Eltern in einer emotionalen Grenzsituation begleiten und ihnen dabei nahe sind, bleibt es meist bei einem Kontakt, erzählt Sabine Wiek – die ihren eigenen Worten zufolge übrigens die harten Erfahrungen gut wegstecken kann. Vielleicht sei es ihre ländliche Prägung, die ihr dabei behilflich ist, glaubt sie. Totgeborene Fohlen und gestorbene Tiere jedenfalls hatte Wiek schon früh gesehen. Gut für sie, denn eine zusätzliche Begleitung der Fotografen kann die Initiative nicht anbieten.

Seit dem Frühjahr 2017 ist Sabine Wiek bei dem Dienst gemeldet. Seither hat sie sechs Einsätze absolviert. Ihren Arbeitgeber musste sie bislang nicht versetzen, irgendwie hatte alles bislang gut gepasst.

Nicht immer haben die Eltern schon passende Kleidung für das Kind parat. Dann hat Sabine Wiek immer ein paar Sachen dabei, die von der ebenfalls ehrenamtlich arbeitenden Initiative Herzenssachen genäht wurden. Ein Set bekommt das Kind angezogen, ein zweites Set bekommen die Eltern als Erinnerung mit. Auch das kann bei der Trauer wichtige Dienste leisten: Etwas haptisches, etwas zum Anfassen, etwas, das beim Begreifen helfen kann. Beim Begreifen von einer Sache, die doch gar nicht zu begreifen ist...

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Der Autor dieser Zeilen 
bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier

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