Osnabrück/Berlin – Vor dieser Aufgabe stehen viele, die einen Menschen verloren haben. Da sind immer noch all die Gegenstände, Kleidungsstücke oder, falls ein Kind gestorben sein sollte, Spielzeuge, alles, was der Mensch in der Zeit seines Lebens so benutzt und besessen hat. Und jetzt? Viele Freunde, Angehörige oder Bekannte raten rasch zum Wegwerfen oder dazu, sich möglichst schnell dieser Aufgabe zu stellen. Aber ist das wirklich so wichtig? Im vierten Teil unserer Serie "Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich", die parallel hier auf diesem Blog und auf dem Blog der Buchautorin und Trauerbegleiterin Eva Terhorst aus Berlin (siehe hier) erscheint, geht es um genau dieses Thema und um unsere Erfahrungen, die wir damit gemacht haben. Ich darf den Anfang machen. Los geht's:
Liebe Eva, vor kurzem hatte ich wieder mal das Thema: Was
machen wir bloß mit all den Dingen, die ein gestorbener Mensch hinterlassen
hat? Also mit so ganz normalen Alltagsgegenständen wie zum Beispiel Kleidung.
Ich habe die Erfahrung gemacht: Entweder gibt es Trauernde, die gleich ganz
beherzt alles auf einmal wegschmeißen – oder es gibt Trauernde, die es nicht
übers Herz bringen, auch nur die kleinste Kleinigkeit weggeben zu können. Da
scheint es nur Extreme zu geben. Wie so oft in solchen Fällen. Wie erlebst Du
das in Deiner Arbeit, Eva? Was sagst Du den Menschen dazu? Liebe Grüße, Thomas
Eva Terhorst aus Berlin hat mehrere Bücher zum Thema Trauer geschrieben und arbeitet unter anderem als Trauerbegleiterin. Sie betreibt auch einen Blog zum Thema Trauer.
|
Guten Morgen lieber Thomas, ja diese Extreme mit dem Umgang
des Nachlasses eines Verstorbenen habe ich auch kennengelernt, aber auch alle
Nuancen dazwischen. Es gibt natürlich die Situation, dass ein Haushalt
aufgelöst werden muss, wenn die Wohnung zur Miete war oder auch das Haus in dem
die Person gelebt hat, verkauft werden soll. Dann ist nicht viel Zeit und die
äußeren Umstände zwingen zu einer schnellen Reaktion, was den Angehörigen oft
ungeheuer schwer fällt, denn sie hätten gerne die Zeit dafür, sich in Ruhe zu
überlegen, was wohin kommen soll und wer was bekommt. Andererseits gibt es auch
diesen Drang die Notwendigkeiten zu erledigen. Oftmals handelt es sich um
zusätzlich erschwerte Konfliktsituationen, wenn dann noch Streitigkeiten um das
Erbe auftauchen. Aber im Normalfall und wenn der Verstorbene in einem eigenen
Haushalt gelebt hat, der weiterhin bestehen bleibt, wird sich oft Zeit
gelassen. Das klingt jetzt ganz locker, ist es aber nicht, denn beim
Zeitlassen fragen sich die Angehörigen immer wieder, ob jetzt vielleicht der
richtige Zeitpunkt gekommen ist, das
eine oder andere zu verschenken, wegzugeben oder zu entsorgen. Dieser Prozess
ist häufig von vielen Tränen und einem sehr schweren Herzen begleitet. Wenn
diese Schwierigkeit in meiner Praxis zur Sprache kommt, empfehle ich, sich so
wenig wie möglich unter Druck zu setzen sondern einfach Geduld zu haben und den
Moment abzuwarten an dem man spürt, dass die Ablösung von bestimmten
Gegenständen sich nun ganz natürlich anfühlt. Selbstverständlich gibt es auch
die Möglichkeit des kreativen Umgangs damit. Aber jetzt warte ich erst mal
deine Antwort ab und schreibe dir das nächste Mal mehr darüber, falls dich das
interessiert. In gespannter Erwartung auf deine Meinung dazu: liebe Grüße, Eva.
Liebe Eva, ja, das hast Du sehr treffend und wertvoll
zusammengefasst. Bei den Trauernden, mit denen ich gearbeitet und gesprochen
habe, durfte ich auch etwas über dieses Thema lernen. Am härtesten, so scheint mir,
sind die Themen Kleidung und Kosmetik. Oder Parfüms. Halt alles, was bei den
gestorbenen Menschen so etwas wie die „zweite Haut“ gebildet hat. Was mit der
echten Haut in Kontakt war. Das wegwerfen zu müssen, kommt manchen Trauernden
so vor, als würden sie den geliebten gestorbenen Menschen ein zweites Mal
wegwerfen müssen. Von außen betrachtet mag das irrational klingen – aber in der
Trauer ist eben nichts mehr irrational, sage ich immer gerne. Da spricht man
halt mit seinen Toten. Und bewahrt ihre Sachen auf. Wenn mich die Leute sowas
fragen wie: Finden Sie das wirklich in Ordnung, wenn meine Mutter da noch über
Jahre die Klamotten von meinem toten Vater im Schrank hat – das gammelt doch,
da kommen doch die Motten…? Dann sage ich gerne, genauso wie Du: Solange diese
Dinge da im Schrank liegen, erfüllen sie auch eine Funktion – davon können Sie
beherzt ausgehen. Und wenn sich diese Funktion erschöpft hat, können auch die
Dinge weg. Meistens geschieht das ganz automatisch. Auf jeden Fall sollte es
ohne Druck von außen geschehen. Auch das habe ich oft erlebt – auch selber: Es
sind meistens die Angehörigen, nicht die Trauernden selbst, die diese
Gegenstände gerne weghaben möchten. Und jetzt bin ich gespannt auf das, was Du
sowieso noch sagen wolltest, liebe Eva. Herzliche Grüße, Thomas
Thomas Achenbach ist der Autor dieses Blogs, er ist in der Region und Stadt Osnabrück als Trauerbegleiter aktiv. (C.-Achenbach-Foto)
|
Lieber Thomas, ich finde deinen Vergleich mit der zweiten Haut sehr
gelungen. Gerade so ein Bild, das du damit zauberst, hilft den Betroffenen sich
selbst besser zu verstehen, wenn sie sich so schwer tun, die Dinge, die eben
doch mehr als einfach nur Dinge sind, aufzugeben. Wenn du nichts dagegen hast,
werde ich zukünftig dein Bild mit der zweiten Haut bei meinen
Trauerbegleitungen auch verwenden. Was ich immer gerne und eigentlich vor allem unbedingt bei
diesem Thema anregen möchte, ist der kreative Umgang mit dem einen oder anderen
Erinnerungsstück auch wenn es vielleicht nur ein Gebrauchsgegenstand war.
Gerade wenn es „nur“ ein Gebrauchsgegenstand des Verstorbenen war, ist es
möglicherweise deutlich leichter diesen zu verändern. In meiner Begleitung habe
ich gemerkt, dass die Menschen sich oft sehr schwer tun, die Dinge zu
verändern. Sie lassen sie ehr liegen oder räumen oder schmeißen sie weg.
Veränderung scheint für uns alle immer wieder eine Herausforderung zu sein. Warum
denn verändern fragst du? Die Antwort hat mehrere Komponenten: Der Tod des
geliebten Menschen hat Vieles verändert. Wenn wir Gebrauchs- und
Erinnerungsstücke umfunktionieren indem wir ihnen eine andere, eine neue Form
geben, dann machen wir diese Metamorphose auf diese Weise sichtbar bzw.
deutlich. Das ist vor allem für uns selbst wichtig, denn zu begreifen, dass
derjenige nie mehr zurück kommen wird und eben nicht einfach nur auf einer
längeren Dienstreise ist, ist unglaublich schwer. Was mich zum zweiten
hilfreichen Aspekt des kreativen Umgangs mit dem einen oder anderen Teil des
Nachlasses bringt. Wir müssen irgendwie begreifen, dass der geliebte Mensch
nicht mehr kommt. Wenn wir beispielsweise aus seinen Lieblings-T-Shirts ein Kopfkissen
oder eine Decke machen, dann tun wir das mit unseren Händen, die uns beim
begreifen helfen. Zusätzlich können wir so ein Kissen oder eine Decke benutzen
und in diesem Fall können wir sie nachts, wenn die Sehnsucht besonders groß
ist, ganz nah bei uns haben. Hier kommt dein Bild mit der zweiten Haut wieder
ins Spiel: Viele tragen unter ihrer Kleidung beispielsweise ein Unterhemd des
Verstorbenen. Sie tun dies heimlich, weil sie nicht für verrückt gehalten
werden wollen und manche haben auch manchmal Angst verrückt zu werden. Was ja
auch stimmt, denn jetzt wo der geliebte Mensch nicht mehr kommt und nichts mehr
ist wie zuvor, ist alles verrückt. Hier macht sich auch der Kontrollverlust
bemerkbar, denn wir konnten den Tod des Verstorbenen nicht verhindern und so
wird uns klar, was wir die meiste Zeit verdrängen: wir haben bei den großen
Themen des Lebens wie Leben, Liebe, Gesundheit und Tod wenig Einfluss und
Kontrolle. Wir können zwar ein gesundes und achtsames Leben führen, doch ist
diese Art von Schutz und Kontrolle auch trügerisch. Wenn wir also wenigstens
die Erinnerungsstücke und deren Form und Verbleib selbst in die Hände nehmen,
gaukeln wir uns vor, dass wir wenigstens etwas selbst bestimmen können. Das ist
gerade in der Phase, in der wir zutiefst erschüttert sind eine recht einfache
aber hilfreiche Maßnahme, um wieder etwas schneller das Gefühl zu bekommen,
wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Im Sinne der ständigen Veränderung und Wandlung grüße ich
dich heute wieder ein mal ganz besonders herzlich. Eva
Liebe Eva, ja, das ist sehr wahr. Ich glaube, über diesen
Prozess der Wandlung werden wir immer mal wieder – auch bei anderen Themen –
sprechen müssen. Das mit dem Unterhemd druntertragen finde ich ja irre, das hat
mir noch keiner gesagt. Finde ich aber total nachvollziehbar – und warum denn
auch nicht? Beim der Frage „Bin ich jetzt verrückt?“ gibt es meiner Meinung
nach nur eine Antwort: Natürlich sind Sie das. Aber mit einem Bindestrich
dazwischen. Sie sind ver-rückt, weil ihre ganze Welt ver-rückt ist, nichts ist
mehr an dem Platz, wo es vorher war, alles ist durcheinander und muss sich neu
ordnen. Klar darf man da ver-rückt sein. Oder, in einem Bild aus der Systemik
ausgedrückt: Unsere Welt ist oft wie so ein Mobile. Solange die Dinge irgendwie
an ihrem Platz sind, bewegt sich alles in den geordneten Bahnen. Aber wenn
eines der hängenden Teile abgeschnitten wird, kippt nicht nur eine der Achsen,
sondern es gerät das ganze Gebilde in Unordnung, bewegt sich nicht mehr so
hübsch synchron und geordnet, sondern gestürzt und chaotisch. So ist das auch
mit dem System unseres Lebens, wenn wir einen Menschen verloren haben oder uns
etwas anderes zugestoßen ist. Und was die beständige Wandlung im Leben angeht,
das gilt ja auch in weniger drastischen Fällen als beim Tod eines Menschen. Die
Engländer bringen das so schön auf den Punkt. „The only thing constant is
change“. Da ist viel Wahres dran. Wenn man das erstmal mit ganzem Herzen und
ganzer Seele verinnerlicht hat, kann das hilfreich sein. Übrigens darfst Du
gerne das Bild mit der zweiten Haut benutzen. Da habe ich kein Copyright drauf.
Wäre ja verrückt, oder? Augenzwinkernde Grüße, Thomas
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------
„Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich“: Hier tauschen sich die beiden Trauerbegleiter Thomas und Eva über die Themen ihrer Arbeit aus. Das soll zu einem besseren Verständnis beitragen, warum Trauerbegleitung wichtig ist und euch helfen, besser zu verstehen, was ihr gerade durch macht, wenn ihr einen geliebten Menschen verloren habt. Auch für Angehörige von Trauernden kann dieser Dialog hilfreich sein. Denn es ist manchmal nicht so leicht nachzuvollziehen, was in jemandem vor sich geht, wenn er trauert. So kommt es schnell zu Missverständnissen und gut gemeinten Ratschlägen, die oft das Gegenteil vom Beabsichtigten auslösen. Sehr, sehr gerne können Trauernde, Angehörige, Trauerbegleiter und alle, die mit dem Thema zu tun haben, mit ihren Kommentaren dazu beitragen, dass dieser Dialog lebendig und hilfreich sein kann! Mehr Infos über Eva und ihre Arbeit gibt es hier....
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Den Blog zum Anhören als Podcast - bitte hier klicken für die aktuelle Episode aus dem Trauer-ist-Leben-Podcast...
Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatterbranche bewegen - was alles möglich sein kann, wenn Menschen in einer Verlustsituation das wollen
Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?
Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde in einer Verlustkrise alles so tun und warum einem das nicht peinlich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Tango auf der Trauerfeier, die Trauerrede als Audiodatei - was heute bei modernen Trauerfeiern alles möglich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen
Ebenfalls auf diesem Blog: Wenn Töne und Texte die Seele ins Schwingen bringen, Teil #01: Serie über Trauer und Musik - die besten Songs und Alben über Trauer und Tod
Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen