Dienstag, 29. Mai 2018

Was machen wir nur mit all den Sachen, die die Verstorbenen hinterlassen haben - und warum das Wegwerfen nicht immer die erste Wahl sein muss (Vierter Teil des Dialogs "Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich")

Osnabrück/Berlin – Vor dieser Aufgabe stehen viele, die einen Menschen verloren haben. Da sind immer noch all die Gegenstände, Kleidungsstücke oder, falls ein Kind gestorben sein sollte, Spielzeuge, alles, was der Mensch in der Zeit seines Lebens so benutzt und besessen hat. Und jetzt? Viele Freunde, Angehörige oder Bekannte raten rasch zum Wegwerfen oder dazu, sich möglichst schnell dieser Aufgabe zu stellen. Aber ist das wirklich so wichtig? Im vierten Teil unserer Serie "Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich", die parallel hier auf diesem Blog und auf dem Blog der Buchautorin und Trauerbegleiterin Eva Terhorst aus Berlin (siehe hier) erscheint, geht es um genau dieses Thema und um unsere Erfahrungen, die wir damit gemacht haben. Ich darf den Anfang machen. Los geht's:  

Liebe Eva, vor kurzem hatte ich wieder mal das Thema: Was machen wir bloß mit all den Dingen, die ein gestorbener Mensch hinterlassen hat? Also mit so ganz normalen Alltagsgegenständen wie zum Beispiel Kleidung. Ich habe die Erfahrung gemacht: Entweder gibt es Trauernde, die gleich ganz beherzt alles auf einmal wegschmeißen – oder es gibt Trauernde, die es nicht übers Herz bringen, auch nur die kleinste Kleinigkeit weggeben zu können. Da scheint es nur Extreme zu geben. Wie so oft in solchen Fällen. Wie erlebst Du das in Deiner Arbeit, Eva? Was sagst Du den Menschen dazu? Liebe Grüße, Thomas

Eva Terhorst aus Berlin hat mehrere Bücher zum Thema Trauer geschrieben und arbeitet unter anderem als Trauerbegleiterin. Sie betreibt auch einen Blog zum Thema Trauer.

Guten Morgen lieber Thomas, ja diese Extreme mit dem Umgang des Nachlasses eines Verstorbenen habe ich auch kennengelernt, aber auch alle Nuancen dazwischen. Es gibt natürlich die Situation, dass ein Haushalt aufgelöst werden muss, wenn die Wohnung zur Miete war oder auch das Haus in dem die Person gelebt hat, verkauft werden soll. Dann ist nicht viel Zeit und die äußeren Umstände zwingen zu einer schnellen Reaktion, was den Angehörigen oft ungeheuer schwer fällt, denn sie hätten gerne die Zeit dafür, sich in Ruhe zu überlegen, was wohin kommen soll und wer was bekommt. Andererseits gibt es auch diesen Drang die Notwendigkeiten zu erledigen. Oftmals handelt es sich um zusätzlich erschwerte Konfliktsituationen, wenn dann noch Streitigkeiten um das Erbe auftauchen. Aber im Normalfall und wenn der Verstorbene in einem eigenen Haushalt gelebt hat, der weiterhin bestehen bleibt, wird sich oft Zeit gelassen. Das klingt jetzt ganz locker, ist es aber nicht, denn beim Zeitlassen fragen sich die Angehörigen immer wieder, ob jetzt vielleicht der richtige  Zeitpunkt gekommen ist, das eine oder andere zu verschenken, wegzugeben oder zu entsorgen. Dieser Prozess ist häufig von vielen Tränen und einem sehr schweren Herzen begleitet. Wenn diese Schwierigkeit in meiner Praxis zur Sprache kommt, empfehle ich, sich so wenig wie möglich unter Druck zu setzen sondern einfach Geduld zu haben und den Moment abzuwarten an dem man spürt, dass die Ablösung von bestimmten Gegenständen sich nun ganz natürlich anfühlt. Selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeit des kreativen Umgangs damit. Aber jetzt warte ich erst mal deine Antwort ab und schreibe dir das nächste Mal mehr darüber, falls dich das interessiert. In gespannter Erwartung auf deine Meinung dazu: liebe Grüße, Eva.

Liebe Eva, ja, das hast Du sehr treffend und wertvoll zusammengefasst. Bei den Trauernden, mit denen ich gearbeitet und gesprochen habe, durfte ich auch etwas über dieses Thema lernen. Am härtesten, so scheint mir, sind die Themen Kleidung und Kosmetik. Oder Parfüms. Halt alles, was bei den gestorbenen Menschen so etwas wie die „zweite Haut“ gebildet hat. Was mit der echten Haut in Kontakt war. Das wegwerfen zu müssen, kommt manchen Trauernden so vor, als würden sie den geliebten gestorbenen Menschen ein zweites Mal wegwerfen müssen. Von außen betrachtet mag das irrational klingen – aber in der Trauer ist eben nichts mehr irrational, sage ich immer gerne. Da spricht man halt mit seinen Toten. Und bewahrt ihre Sachen auf. Wenn mich die Leute sowas fragen wie: Finden Sie das wirklich in Ordnung, wenn meine Mutter da noch über Jahre die Klamotten von meinem toten Vater im Schrank hat – das gammelt doch, da kommen doch die Motten…? Dann sage ich gerne, genauso wie Du: Solange diese Dinge da im Schrank liegen, erfüllen sie auch eine Funktion – davon können Sie beherzt ausgehen. Und wenn sich diese Funktion erschöpft hat, können auch die Dinge weg. Meistens geschieht das ganz automatisch. Auf jeden Fall sollte es ohne Druck von außen geschehen. Auch das habe ich oft erlebt – auch selber: Es sind meistens die Angehörigen, nicht die Trauernden selbst, die diese Gegenstände gerne weghaben möchten. Und jetzt bin ich gespannt auf das, was Du sowieso noch sagen wolltest, liebe Eva. Herzliche Grüße, Thomas

Thomas Achenbach ist der Autor dieses Blogs, er ist in der Region und Stadt Osnabrück als Trauerbegleiter aktiv.   (C.-Achenbach-Foto) 

Lieber Thomas, ich finde deinen Vergleich mit der zweiten Haut sehr gelungen. Gerade so ein Bild, das du damit zauberst, hilft den Betroffenen sich selbst besser zu verstehen, wenn sie sich so schwer tun, die Dinge, die eben doch mehr als einfach nur Dinge sind, aufzugeben. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich zukünftig dein Bild mit der zweiten Haut bei meinen Trauerbegleitungen auch verwenden. Was ich immer gerne und eigentlich vor allem unbedingt bei diesem Thema anregen möchte, ist der kreative Umgang mit dem einen oder anderen Erinnerungsstück auch wenn es vielleicht nur ein Gebrauchsgegenstand war. Gerade wenn es „nur“ ein Gebrauchsgegenstand des Verstorbenen war, ist es möglicherweise deutlich leichter diesen zu verändern. In meiner Begleitung habe ich gemerkt, dass die Menschen sich oft sehr schwer tun, die Dinge zu verändern. Sie lassen sie ehr liegen oder räumen oder schmeißen sie weg. Veränderung scheint für uns alle immer wieder eine Herausforderung zu sein. Warum denn verändern fragst du? Die Antwort hat mehrere Komponenten: Der Tod des geliebten Menschen hat Vieles verändert. Wenn wir Gebrauchs- und Erinnerungsstücke umfunktionieren indem wir ihnen eine andere, eine neue Form geben, dann machen wir diese Metamorphose auf diese Weise sichtbar bzw. deutlich. Das ist vor allem für uns selbst wichtig, denn zu begreifen, dass derjenige nie mehr zurück kommen wird und eben nicht einfach nur auf einer längeren Dienstreise ist, ist unglaublich schwer. Was mich zum zweiten hilfreichen Aspekt des kreativen Umgangs mit dem einen oder anderen Teil des Nachlasses bringt. Wir müssen irgendwie begreifen, dass der geliebte Mensch nicht mehr kommt. Wenn wir beispielsweise aus seinen Lieblings-T-Shirts ein Kopfkissen oder eine Decke machen, dann tun wir das mit unseren Händen, die uns beim begreifen helfen. Zusätzlich können wir so ein Kissen oder eine Decke benutzen und in diesem Fall können wir sie nachts, wenn die Sehnsucht besonders groß ist, ganz nah bei uns haben. Hier kommt dein Bild mit der zweiten Haut wieder ins Spiel: Viele tragen unter ihrer Kleidung beispielsweise ein Unterhemd des Verstorbenen. Sie tun dies heimlich, weil sie nicht für verrückt gehalten werden wollen und manche haben auch manchmal Angst verrückt zu werden. Was ja auch stimmt, denn jetzt wo der geliebte Mensch nicht mehr kommt und nichts mehr ist wie zuvor, ist alles verrückt. Hier macht sich auch der Kontrollverlust bemerkbar, denn wir konnten den Tod des Verstorbenen nicht verhindern und so wird uns klar, was wir die meiste Zeit verdrängen: wir haben bei den großen Themen des Lebens wie Leben, Liebe, Gesundheit und Tod wenig Einfluss und Kontrolle. Wir können zwar ein gesundes und achtsames Leben führen, doch ist diese Art von Schutz und Kontrolle auch trügerisch. Wenn wir also wenigstens die Erinnerungsstücke und deren Form und Verbleib selbst in die Hände nehmen, gaukeln wir uns vor, dass wir wenigstens etwas selbst bestimmen können. Das ist gerade in der Phase, in der wir zutiefst erschüttert sind eine recht einfache aber hilfreiche Maßnahme, um wieder etwas schneller das Gefühl zu bekommen, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Im Sinne der ständigen Veränderung und Wandlung grüße ich dich heute wieder ein mal ganz besonders herzlich. Eva

Liebe Eva, ja, das ist sehr wahr. Ich glaube, über diesen Prozess der Wandlung werden wir immer mal wieder – auch bei anderen Themen – sprechen müssen. Das mit dem Unterhemd druntertragen finde ich ja irre, das hat mir noch keiner gesagt. Finde ich aber total nachvollziehbar – und warum denn auch nicht? Beim der Frage „Bin ich jetzt verrückt?“ gibt es meiner Meinung nach nur eine Antwort: Natürlich sind Sie das. Aber mit einem Bindestrich dazwischen. Sie sind ver-rückt, weil ihre ganze Welt ver-rückt ist, nichts ist mehr an dem Platz, wo es vorher war, alles ist durcheinander und muss sich neu ordnen. Klar darf man da ver-rückt sein. Oder, in einem Bild aus der Systemik ausgedrückt: Unsere Welt ist oft wie so ein Mobile. Solange die Dinge irgendwie an ihrem Platz sind, bewegt sich alles in den geordneten Bahnen. Aber wenn eines der hängenden Teile abgeschnitten wird, kippt nicht nur eine der Achsen, sondern es gerät das ganze Gebilde in Unordnung, bewegt sich nicht mehr so hübsch synchron und geordnet, sondern gestürzt und chaotisch. So ist das auch mit dem System unseres Lebens, wenn wir einen Menschen verloren haben oder uns etwas anderes zugestoßen ist. Und was die beständige Wandlung im Leben angeht, das gilt ja auch in weniger drastischen Fällen als beim Tod eines Menschen. Die Engländer bringen das so schön auf den Punkt. „The only thing constant is change“. Da ist viel Wahres dran. Wenn man das erstmal mit ganzem Herzen und ganzer Seele verinnerlicht hat, kann das hilfreich sein. Übrigens darfst Du gerne das Bild mit der zweiten Haut benutzen. Da habe ich kein Copyright drauf. Wäre ja verrückt, oder? Augenzwinkernde Grüße, Thomas

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„Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich“: Hier tauschen sich die beiden Trauerbegleiter Thomas und Eva über die Themen ihrer Arbeit aus. Das soll zu einem besseren Verständnis beitragen, warum Trauerbegleitung wichtig ist und euch helfen, besser zu verstehen, was ihr gerade durch macht, wenn ihr einen geliebten Menschen verloren habt. Auch für Angehörige von Trauernden kann dieser Dialog hilfreich sein. Denn es ist manchmal nicht so leicht nachzuvollziehen, was in jemandem vor sich geht, wenn er trauert. So kommt es schnell zu Missverständnissen und gut gemeinten Ratschlägen, die oft das Gegenteil vom Beabsichtigten auslösen. Sehr, sehr gerne können Trauernde, Angehörige, Trauerbegleiter und alle, die mit dem Thema zu tun haben, mit ihren Kommentaren dazu beitragen, dass dieser Dialog lebendig und hilfreich sein kann! Mehr Infos über Eva und ihre Arbeit gibt es hier....


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.

Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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