Samstag, 3. Juni 2017

Neue Studie untermauert: Trauer wiegt besonders schwer bei Kindsverlust und Suizid - aber die Studie zeigt auch deutlich: Trauer ist nicht immer gleich Trauer, es zählt das Verhältnis zum verstorbenen Menschen

Osnabrück/Würzburg - Eine wissenschaftliche Studie über das Thema Trauer durchzuführen, ist gewiss keine einfache Sache. Die meisten Untersuchungen scheitern daran, dass sich kaum genug Teilnehmer finden lassen, um als repräsentativ zu gelten. So gesehen gilt auch für die neue Studie, um die es jetzt gehen wird: Sie ist sehr interessant, wenn auch vermutlich nicht repräsentativ. Dennoch lohnt der Blick auf ihre Ergebnisse. Denn sie untermauerte die These: Trauer ist nicht gleich Trauer.

Ab wann gilt eine Studie als repräsentativ? Schwierige Frage, schwierige Antwort. Zwar hat sich inzwischen in Wissenschaft und Journalimus die 1000er-Formel durchgesetzt. Soll heißen: Alles unter 1000 Teilnehmern ist nicht als repräsentativ zu gelten. Aber das kann und darf natürlich nicht der einzige Faktor sein bei der Bewertung einer Studie. Denn wer beispielsweise 1000 Blogleser befragt, ob sie schon mal einen Blog gelesen haben, wird eine Einschaltquote von satten 100 % erhalten - um dann behaupten zu können, Blogs seien das erfolgreichste Medium überhaupt. Wichtig ist also auch die statistische Durchmischung der Befragten. Alt und Jung, hohes Bildungsniveau, niedriges Niveau, je gemischter, desto repräsentativer. Außerdem wichtig: Wie genau wird gefragt? Und durch wen? Und wie lange? Schwer genug, aber nicht nur das.

Verzweiflung und Intensität einer Verlustkrise sind besonders hoch, wenn ein paar Faktoren zusammenkommen, zeigt eine aktuelle psychologische Studie.    (Pixabay.de-Foto, Creative-Common-0-Lizenz)

Denn man finde erstmal über 1000 Trauernde, die bereit (und in der Lage) sind, wissenschaftlich erschöpfend Auskunft über sich zu geben. Vielleicht sind auch schon 500 ausreichend, wenn die weiteren oben genannten Faktoren stimmen. Oder 521? Unter der Überschrift "Trauern hat viele Facetten" hat mich kürzlich eine Pressemitteilung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg erreicht, bei der sich 521 Teilnehmer zum Thema Trauer geäußert haben. Das Ergebnis der Untersuchung lässt sich in mehreren Sätzen zusammenfassen. Erstens: Trauer ist nicht gleich Trauer. Je nach Art des Verwandtschaftsverhältnisses zu den Verstorbenen und nach deren Todesart fällt das Verlusterleben unterschiedlich aus.  Zweitens: Besonders hart trifft es die Menschen, die ein Kind oder einen Angehörigen duch Suizid verlieren. 


Neigung zur "Anhaltenden Trauerstörung"


Dann ist, so die Wissenschaftler, die Neigung zu dem, was als "Anhaltende Trauerstörung" beschrieben werden könnte, besonders ausgeprägt (zu dem Thema bald mehr auf diesem Blog). Durchgeführt haben die Studie Joachim Wittkowski, außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Würzburg, und Dr. Rainer Scheuchenpflug, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Psychologie III. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Wissenschaftler in einer Ausgabe der "Zeitschrift für Gesundheitspsychologie veröffentlicht (Unter dem Titel "Trauern in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen und zur Todesart", Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 2016/24, Seiten 107–118). Auch das hat die Studie untermauert:


Mehr als 500 Trauernde interviewt


Stirbt ein Kind oder der Ehegatte, suchen die Trauernden sehr stark die Nähe zu der verstorbenen Person. Oder das "Gespräch" mit ihr. Auch macht sich bemerkbar, dass ihr Denken eingeschränkt ist - es fällt ihnen beispielsweise schwer, sich zu konzentrieren. Weniger stark sind diese Empfindungen indes ausgeformt, wenn ein Elternteil beziehungsweise der Bruders oder die Schwester starben. Was die Todesart betrifft, äußerten Angehörige von Opfern einer Selbsttötung stärkere Schuldgefühle als Angehörige von Personen, die durch Krankheit oder Unfall ums Leben gekommen waren. Keinen Einfluss auf die Intensität der Gedanken und Gefühle der Hinterbliebenen hatte hingegen die Tatsache, ob der Tod überraschend durch einen Unfall oder vorhersehbar aufgrund einer Krankheit eingetreten war.

Art und Intensität unterscheiden sich


Diese Befunde, die erstmals an Personen aus dem deutschen Sprachraum gewonnen wurden, zeigen nach Ansicht der Wissenschaftler, dass sich an dem Merkmal „Trauern“ mehrere eigenständige Aspekte unterscheiden lassen. „Trauern hat also viele Erscheinungsformen. Art und Intensität des Verlusterlebens verlaufen unterschiedlich, je nachdem, in welcher Beziehung die verstorbene Person zum Hinterbliebenen stand und auf welche Art sie ums Leben kam“, sagt Joachim Wittkowski in der Pressemitteilung. 
Worauf die Pressemitteilung leider nicht eingeht, ist die Frage, wie die Macher der Studie eigentlich an die Trauernden gekommen sind und wie sie sie befragt haben, wie sie also genau vorgegangen sind. Also habe ich mich kurzerhand an Joachim Wittkowski selbst gewandt und ihn genau das in einer E-Mail befragt - hier sind seine Antworten (vielen Dank dafür):

Seit Jahrhunderten wird getrauert, aber richtig wissenschaftlich geforscht wird zu diesem Thema noch recht selten - eine Studie aus Würzburg bildet da jetzt die Ausnahme.   (Pixabay.de-Foto/Creative-Commons-0-Lizenz)

"Die Datenerhebung folgte einer gemischten Strategie, etwa ein Drittel Papier-und-Bleistift (Verteiler bzw. Multiplikatoren meist Trauergruppen in Hessen), zwei Drittel über das Internet. Als Teilnehmer kam jeder in Frage, der sich selbst als Trauernder betrachtete. Das wurde vorab erläutert. "Trauerhintergründe" wurden nicht erfragt, wohl aber sozio-demographische Angaben und solche zur Todesart, der Teilnahme an Trauerbegleitung, -beratung oder Psychotherapie etc.- Nach Abschluß der Datenerhebung erfolgte eine sorgfältige Durchsicht und Bereinigung des Datensatzes, u.a. um Mehrfachbearbeitungen zu löschen." Und außerdem: "Es wurden die Werte für die Skalen gebildet, und diese wurden auf Unterschiede in Abhängigkeit von anderen Merkmalen (Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen, Todesart) geprüft. Ein signifikanter Unterschied liegt vor, wenn er gemäß Konvention nicht mehr durch den Zufall erklärbar, also "überzufällig" ist."


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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.

Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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