Osnabrück - Männer trauern, aber anders... Oder: Von wegen kalter Klumpen! Inzwischen habe ich zu diesem Thema bereits ein eigenes Buch veröffentlicht und einige Vorträge gehalten (ein Bericht darüber findet sich beispielsweise hier) sowie weitere Beiträge geschrieben. Aber einer der allerersten Artikel, den ich zu diesem Thema verfassen durfte, ist im "Columba-Magazin" aus Bamberg erschienen, einer Fachzeitschrift für die Palliativ- und Hospizszene. Männertrauer bleibt ein wichtiges Thema, zu dem es nur wenige Experten gibt, wie ich in der Recherche zum Thema immer wieder feststellen kann. Dabei geholfen hat mir, dass ich das Thema ebenfalls nicht zum ersten Mal bearbeitet habe - mich aber auf die Suche nach ergänzenden Informationen gemacht habe und auch fündig geworden bin. Hier ist mein Beitrag zum Nachlesen...:
"... Der eine macht stundenlange Spaziergänge, aber bitte alleine. Der andere zieht sich komplett aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Wieder ein anderer will keine Gottesdienste mehr besuchen, weil er beim Singen immer weinen muss – und er ist ausgerechnet ein Pastor im Ruhestand. So oder so ähnlich beschreiben die Witwer in dem Buch „Männer trauern anders“ ihre Gefühle und ihre Trauerprozesse. Sie liefern gute Hinweise. Denn das größte Verdienst dieser Berichte, die der ebenfalls verwitwete Ex-Wissenschaftler Dr. Martin Kreuels zusammengetragen hat, ist diese Annäherung an ein Phänomen, das noch nicht ausreichend untersucht ist: Die Männertrauer.
"... Der eine macht stundenlange Spaziergänge, aber bitte alleine. Der andere zieht sich komplett aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Wieder ein anderer will keine Gottesdienste mehr besuchen, weil er beim Singen immer weinen muss – und er ist ausgerechnet ein Pastor im Ruhestand. So oder so ähnlich beschreiben die Witwer in dem Buch „Männer trauern anders“ ihre Gefühle und ihre Trauerprozesse. Sie liefern gute Hinweise. Denn das größte Verdienst dieser Berichte, die der ebenfalls verwitwete Ex-Wissenschaftler Dr. Martin Kreuels zusammengetragen hat, ist diese Annäherung an ein Phänomen, das noch nicht ausreichend untersucht ist: Die Männertrauer.
Männer trauern, aber anders... Dieser Artikel über Männertrauer erschien auch in der Ausgabe 1/2017 des Columba-Magazins. Schick gestaltet. (Thomas-Achenbach-Foto) |
Trauer, Tod und Sterben sind weibliche Themen. Dazu bedarf
es keiner wissenschaftlichen Untersuchung, es genügt ein Blick in die
Fachmagazine der Hospiz- und Palliativszene oder in die lokale Zeitung vor Ort.
Der neueste Ehrenamtskurs des örtlichen Hospizvereins…: Nur Frauen. Ein Kurs
für angehende Trauerbegleiter nach den Kriterien des neu dafür gegründeten
Bundesverbands…: Zwei Männer, neun Frauen. Das Bundestreffen der im Verband
organisierten Trauerbegleiter…: Zu 95 Prozent Frauen.
Trauer, Tod und Sterben bleiben Frauenthemen - warum?
Was ist da los? Wo bleiben die Herren? Dass sich dieser
Mangel an männlichen Kräften negativ auswirken kann, davon ist Martin Kreuels
überzeugt: „Die pflegerische und psychosoziale Begleitung Hochbetagter und
lebensbegrenzt Erkrankter in Krankenhäusern, auf Palliativstationen, in Seniorenheimen
und Hospizen ist frauendominiert. Das führt dazu, dass wir wenig über die
Wünsche und Gedanken von Männern wissen.“ Und dass diese nicht genug
berücksichtigt werden. So formuliert es Kreuel in einem Flyer zu einem Projekt,
das im Sommer 2016 startete: Gesucht sind sterbende Männer, die über ihre
Wünsche und Gefühle reden. Damit sich die Hospiz- und Palliativszene besser auf
sie einstellen kann.
Kein Thema in der Wissenschaft - wenig zu finden
Nicht nur beim Sterben, auch in Sachen Trauer gilt: Was
Frauen hilft, ist nicht immer gut für die Herren. Doch wer sich auf die Suche
nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über Männertrauer macht, der läuft bald
ins Leere. Lediglich dem Superintendenten Dr. Helmut Kirschstein aus der
ostfriesischen Stadt Norden ist es gelungen, für einen 2015 gehaltenen Vortrag
vor der Selbsthilfegruppe verwaister Eltern in Bramsche-Ueffeln ein paar
bemerkenswerte Fakten zusammentragen zu können, die eine Annäherung ermöglichen.
Bei Frauen täglich 5000 Worte mehr - im Reden
Er zitiert Untersuchungen von Wissenschaftlern, die das
männliche Gehirn mit dem weiblichen verglichen haben. Die wichtigste
Erkenntnis: „Bei Männern lassen sich die Gefühle in der rechten Gehirnhälfte an
zwei bestimmten Stellen orten: Sie können getrennt von anderen Gehirnfunktionen
verarbeitet werden. Die Gefühlswahrnehmung bei Frauen verteilt sich dagegen
über beide Gehirnhälften, ohne sich an bestimmten Stellen besonders orten zu
lassen“, wie es Kirschstein formuliert. Soll heißen: Männer bearbeiten ihre
Gefühle schon rein biologisch gesehen an anderen Orten. Und: strukturierter. Auch
spannend: „Männer geben durchschnittlich etwa 7000 Kommunikationsträger pro Tag
von sich, also Wörter, Tongeräusche, Körpersignale, Frauen dagegen ca. 20000“.
Frauen fühlen und sprechen, Männer brauchen was Anderes
Die Kernaussagen seines Vortrags lassen sich dementsprechend
in drei Thesen zusammenfassen, die Kirschstein wie folgt formuliert: 1.) Frauen
trauern nach außen - Männer trauern im Innern. 2.) Frauen suchen in der Trauer
die Gemeinschaft - Männer suchen das Alleinsein. Und 3.): Frauen fühlen sich
durch die Trauer - Männer denken sich durch die Trauer. Kein Wunder also, dass
diese völlig anders erlebten Gefühle immer dann ein Problem werden, wenn ein
Paar gemeinsam damit konfrontiert wird. Da erlebt die Frau ihren Partner oft
als gefühlsarmen Klumpen: „Mein Mann trauert gar nicht richtig“, lautet oft der
Vorwurf. Eine Trennung ist dann nicht unwahrscheinlich. Doch das muss nicht
sein.
Immer die Kontrolle behalten - auch bei Ohnmacht
Im Bearbeiten von Leid und Trauer ticken Männer tatsächlich ganz
anders als Frauen, davon ist auch der Seelsorger Günter Oberthür überzeugt, der
sich ebenfalls zu einem Spezialisten für dieses Thema entwickelt hat. „Männertrauer
findet statt“, sagte der 58-Jährige im Herbst 2015 zur „Neuen Osnabrücker
Zeitung“: „Nur anders.“ Und: „Sie ist ein viel größeres Thema als man gemeinhin
merkt und denkt“. Denn was Frauen am liebsten im Gespräch bearbeiten, also
redend, ist bei Männern oft hinter Alleinesein oder Aktivitäten versteckt, hat
Oberthür beobachtet. Die Kontrolle behalten, gefasst bleiben, selbst, wenn die
Umstände noch so gegen einen sind – das ist den Herren wichtiger als den Frauen,
betont der Theologe, der auch schon für das Bistum Osnabrück als
Männer-Seelsorger arbeitete.
Was Männer in Trauer brauchen: Andere Männer
Er spürt die Anwesenheit seiner toten Frau
Wie intensiv das Leiden der Männer sein kann, das zeigen
ebenfalls die anonymen Berichte im Buch von Dr. Martin Kreuels: Da gibt es den 52-jährigen
Controller, der immer wieder in Traumreisen das direkte Gespräch mit seiner
verstorbenen Frau suchen und sie um Rat fragen muss oder beispielsweise den
54-jährigen Unternehmer, der die Präsenz seiner Frau in jedem Raum der Wohnung
spürt. Erdrückend spürt.
"Man hört sich nicht mehr leben" - schreibt einer, der es weiß
Der vielleicht prominenteste „bekennende männliche Trauernde“
ist der britische Literat Julian Barnes, der in seinem ergreifenden Buch
„Lebensstufen“ all seine Gefühle rund um den Tod seiner Frau offenlegt und sie
in großartige Worte zu verpacken versteht. „Man hört sich nicht mehr leben“,
schreibt Barnes beispielsweise. „Und wie fühlt man sich so? Als wäre man aus
ein paar Hundert Metern Höhe abgestürzt, bei vollem Bewusstsein, wäre mit den
Füßen voran mit solcher Wucht in einem Rosenbeet gelandet, dass man bis zu den
Knien darin versank, und beim Aufprall wären die Eingeweide zerrissen und aus
dem Körper herausgeplatzt.“ Britisch nüchtern, wie Barnes auch immer wieder
ist, fügt er noch an: „Kein Wunder, dass manche auf ein ungefährlicheres Gesprächsthema
ausweichen wollen.“
Männer in einer Krise - das ist doppeltes Leid
Der Superintendent Dr. Helmut Kirschstein trifft es exakt,
wenn er in seinem Vortrag betont, wie traurig ihn die Trauer der Männer mache: „Letztlich
verstärkt das typische Trauerverhalten der Männer allzu oft die Lebenskrise, in
der sich Menschen in einer Verlustsituation ja ohnehin schon befinden.
Geteiltes Leid ist dann tatsächlich nicht halbes Leid - sondern doppeltes Leid.“
Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Den Blog zum Anhören als Podcast - bitte hier klicken für die aktuelle Episode aus dem Trauer-ist-Leben-Podcast...
Ebenfalls auf diesem Blog: Die Kunden müssen die Bestatterbranche bewegen - was alles möglich sein kann, wenn Menschen in einer Verlustsituation das wollen
Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?
Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde in einer Verlustkrise alles so tun und warum einem das nicht peinlich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Tango auf der Trauerfeier, die Trauerrede als Audiodatei - was heute bei modernen Trauerfeiern alles möglich sein sollte
Ebenfalls auf diesem Blog: Der Fluch der Tapferkeit - warum es Menschen in der modernen Gesellschaft so schwer fällt Trauer als etwas Normales anzuerkennen
Ebenfalls auf diesem Blog: Wenn Töne und Texte die Seele ins Schwingen bringen, Teil #01: Serie über Trauer und Musik - die besten Songs und Alben über Trauer und Tod
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