Was mir immer hilft, wenn ich beim Schreiben mal nicht weiterkomme, ist der Weg nach draußen. Beim Zu-Fuß-Gehen an der frischen Luft finden die Gedankenspiralen manchmal Anschluss an Synapsen, an denen sie vorher noch nicht andocken wollten. Das habe ich oft erfahren. Wie passend, dass wir als Familie derzeit in einer Übergangsphase auf unser zweites Auto verzichtet haben und ich also zum vielen Zu-Fuß-Gehen quasi gezwungen bin. Beim Blick auf die gelben Narzissen in der Sonne schälte sich ein mögliches Thema heraus: Darf ich im Frühling überhaupt traurig sein? Tatsächlich ein Thema, das Menschen in einer Verlustkrise beschäftigt. Das Feedback des verantwortlichen Redakteurs auf mein "Zum Geleit" im Wortlaut: "Speziell, aber sehr lesenswert". Eine interessante Rückmeldung, die ich zum Anlass nehme, den Text auch hier auf meinem Blog zu veröffentlichen.
Farbenpracht und Trauerästhetik - Frühling auf dem Friedhof. Fotoimpressionen vom Heger Friedof in Osnabrück, aufgenommen im März 2017. (Thomas-Achenbach-Fotos) |
Der im Text erwähnte "Trauer-Chat" wird übrigens schon sehr bald ein neues Thema hier in diesem Blog sein. Und über das ebenfalls erwähnte Buch "Lebensstufen" von Julian Barnes hatte ich schon vor kurzem geschrieben.... Nun aber - das Geleitwort aus der Beilage "Rat und Hilfe im Trauerfall" im Wortlaut: „Immer wieder kommt ein neuer Frühling, immer wieder kommt ein neuer März...“ – heißt es in einem Kinderlied, das meine Tochter gerne singt. Und siehe da, es stimmt: Auch auf den Friedhöfen herrschen jetzt die bunten Farben vor, stehen Tulpen und Narzissen in den Pflanzschalen, legt die Beetbepflanzung das Winterkleid ab.
Passt denn Trauer überhaupt in die bunte Jahreszeit?
Und immer dann, wenn draußen die Welt wiedererwacht, erscheint diese Zeitungsbeilage mit dem Titel „Rat und Hilfe im Trauerfall“. Ein geeigneter Zeitpunkt? Darf man denn im Frühling überhaupt traurig sein? Oft werden die Verantwortlichen gefragt: Warum denn nicht im November? Wenn die „traurigen Tage“ das vorherrschende Thema sind. Die Antwort lautet: Nein, wir wollen ganz bewusst nicht in der „dunklen Zeit“ erscheinen. Warum denn auch? Auch die Verlustfälle selbst warten ja nicht darauf, dass der Sommer vorbei geht. Aber die Verunsicherung ist groß.
Die Beilage "Rat und Hilfe im Trauerfall" erschien in der Neuen Osnabrücker Zeitung (Thomas-Achenbach-Foto) |
Oft scheint es Menschen in einer Verlustkrise so, als sei es ihnen allein im November, in der Gräunis des ausklingenden Jahres, tatsächlich erlaubt, sich ihrer Trauer hinzugeben. Wohingegen im Frühling und Sommer die Gefühle unangebracht zu sein scheinen. Doch kaum etwas ist wohl trauriger, als sich auch noch in seiner Trauer einsam und unverstanden fühlen zu müssen (auch wenn das tatsächlich recht oft der Fall ist).
Ratschläge sind Schläge - besser zurückhaltend sein
„Rat und Hilfe im Trauerfall“ heißt diese Beilage – in der Ausbildung zum professionellen Begleiter lernen wir indes: Ratschläge sind oft auch Schläge.Darf man also Menschen in einer Verlustkrise einen Rat geben? Wenn sie nicht aktiv einen suchen: Nein. Zurückhaltung ist angebracht. Etwas anderes jedoch ist es, wenn sich Trauernde mit der Bitte um einen Rat an einen wenden.
Darf man im Frühling traurig sein? Und sich trotzdem an schönen Blumen erfreuen? Fotoimpressionen vom Heger Friedhof in Osnabrück, aufgenommen im März. (Thomas-Achenbach-Fotos) |
So ist es Kai Sender, dem Verantwortlichen von Online-Trauer-Chats gegangen, wie er mir neulich berichtete – in einem Chat hatte ihn eine Dame gefragt: „Darf ich noch immer noch traurig sein nach so langer Zeit?“ Seine Antwort ist knapp, präzise und gut: „Na klar, er ist ja immer noch tot!“
"Tot heißt ja nicht, dass es jemanden nicht mehr gibt"
„Das können diejenigen, die diesen Wendekreis des Lebens noch nicht überschritten haben, oft nicht verstehen: Wenn jemand tot ist, dann heißt das zwar, dass er nicht mehr am Leben ist, aber es heißt nicht, dass es ihn nicht mehr gibt.“ Diese klugen Sätze schreibt der britische Autor Julian Barnes in seinem bemerkenswerten Buch „Lebensstufen“. Übrigens ein Buch, das auf nur wenigen Seiten hochpräzise alles über Trauer sagt, was darüber gesagt werden muss (mehr dazu - hier klicken).
Im Frühling trauern?.. - "Wann, wenn nicht jetzt?"
Und Kai Sender sagt: „Bitte keine Zurückhaltung in der Trauer. Vornehmes Zurücknehmen können wir uns leisten, wenn es uns gut geht. Aber in Zeiten der Trauer ist gesunder Egoismus angesagt. Wann, wenn nicht jetzt?“ - „Leid ist ein menschlicher Zustand, kein medizinischer,“ Auch diesen wunderbaren Satz finden wir bei Julian Barnes. Und das gilt eben auch – im Frühling."
Fotoimpressionen vom Heger Friedof in Osnabrück, aufgenommen im März. (Thomas-Achenbach-Fotos) |
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor des Buches "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag, 17 Euro, erschienen im März 2019. Mehr Infos gibt es hier.
Alle aktuellen Termine, Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare etc. mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link
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