Sonntag, 15. Januar 2017

Aushalten lernen, Ohnmächte (an-) erkennen... - was die US-Präsidentenwahl rund um Donald Trump und die politische Weltlage insgesamt mit Trauerbegleitung & Trauerverarbeitung zu tun haben (steile These: mehr als man denkt)

Osnabrück – „Ich fühle mich so ausgeliefert und so hilfos..“ - „Ich habe manchmal das Gefühl, ich ertrage das alles gar nicht mehr.“ – Nein, diese Sätze stehen ausnahmsweise einmal nicht im Zusammenhang mit den Themen Trauer und Sterben. Auch wenn sie so klingen. Sie lassen sich in Diskussionsforen und Kommunikationsbeiträgen im Internet finden –  es geht um die täglichen Nachrichten. Also um das, was tagtäglich in der Welt geschieht. Und doch fallen solche und ähnliche Aussagen oft auch bei einem Trauergespräch. Was aber haben das Verfolgen der aktuellen Nachrichten mit einer eigenen Betroffenheit in einem Trauerfall zu tun? Auf einer psychologischen Meta-Ebene betrachtet: Viel mehr als man denkt...

Denn der zugrundeliegende seelische Mechanismus, der uns bei den Weltnachrichten das Gefühl vermittelt, überfahren zu werden, ist letztlich identisch mit einer der inneren Reaktionen, die sich bei einem Trauerfall einstellen können. Es geht um Ohnmacht. Und Hilflosigkeit. Als Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, als sich die Engländer für ihren „Brexit“-Ausstieg entschieden, waren viele Deutsche nicht nur überrascht, sondern zum Teil wie gelähmt. Doch es muss gar nicht die große Weltpolitik sein...: 


Zigtausend Menschen, zigtausend Geschichten - die Welt schrumpft zusammen, seit die Sozialen Medien alles überrollen. Tagtäglich sehen wir uns einer Flut an menschlichen Dramen ausgesetzt, von der viele überfordert sind.   (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz)

Auch Berichte über tödlich ausgehende Verkehrsunfälle, entführte Menschen oder misshandelte Kinder wecken in manchen Menschen ein Gefühl des Überfahrenseins. Als "klassische Hilflosigkeitssituation“ beschreibt der Psychologie-Professor Jürgen Margraf solche und ähnliche Fälle in einem Artikel der Deutschen Presse-Agentur (dpa) über das„Trump-Tief der Deutschen“ (November 2016).



Ausgeliefert und machtlos und hilflos


Das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Das Gefühl, dass die ganze Welt unwirklich geworden ist und einen nicht mehr erreicht, als sei sie hinter einem Nebelschleier versteckt. Das Gefühl, nichts, aber auch gar nichts, tun zu können, was die aktuelle Lage verändert. Von diesen und ähnlichen Zuständen berichten auch Trauernde oftmals. Aber eben nicht nur sie – auch die Konsumenten von Nachrichten aller Art erleben, wenn auch in einer geringeren Dosis, eine ähnliche Reaktion auf das, was sie da hören. Es ist alles so schrecklich... Es kann doch alles gar nicht wahr sein. Wird dann oft gesagt. Und so wird es auch erlebt.  


Was hilft gegen Nachrichtenüberforderung?


Was kann helfen? Schon 2011 hatte ich das Thema der „Nachrichtenüberforderung“ und der dadurch geweckten Ängste mit einer Psychologin und Buchautorin besprechen können – in Form eines Interviews für die „Osnabrücker Nachrichten“. Was die in Bad Essen lebende Dr. Elisabeth Mardorf damals an Tipps parat hatte, ist noch immer hilfreich.


Der Mensch im Strudel der Medieneinwirkung - mögen auch viele auf die "Lügenpresse" schimpfen, die sozialen Netzwerke und die persönlichen Filterblasen sind doch heute oft viel wirkmächtiger als jede Presse. Kann man sich diesem Sog enziehen?  (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-CC0-Lizenz 

Zum Beispiel das simple Darüber-Reden: „Wenn man das Gefühl hat, man wird überwältigt und ohnmächtig von einem Durcheinander an Ängsten, dann ist es schon sinnvoll, dass man mit diesen Gefühlen nach außen geht.“ Deshalb sollte eine zentrale Frage lauten: „Mit wem kann ich sprechen über meine Ängste? Manchmal ist ja alleine schon das Darüber-Sprechen eine Entlastung.“ Hilfreich dabei ist es vor allem, der Vielfalt der Ängste auf die Spur zu kommen. Denn das hat sicher schon jeder einmal erlebt: 


Was immer hilft: Sich verstanden fühlen. Ganz. 


Dass sich aus Ängsten so eine Art diffuse Ursuppe zusammenbraut, in der sich vieles vermischt. Das kennen wir alle, oder? In einem E-Mail-Dialog mit einer guten Freundin habe ich neulich noch über "unsere Angst" geredet. SIngular. Dann entschlossen wir, diesen Dingen mal konkreter nachzuspüren. Und siehe da, am Ende waren es 12 und mehr verschiedene Ängste vor ganz unterschiedlichen Dingen - Plural. Große und kleine Ängste, alle durcheinander, aber als empfunden als ein "großes Ganzes".  


Die Weltenlage einfach mal aushalten, so wie sie ist


Und das kann auch bei dem Gefühl, von der Weltlage überfahren zu sein, hilfreich sein: Wer seine Ängste (mit-) teilen kann, sich in ihnen verstanden fühlt, der wird eher in die Lage kommen, die Weltenlage so aushalten zu können, wie sie nun einmal ist (und zu akzeptieren, wo die Grenzen sind, wo man nichts mehr tun kann). Es kann sicher niemals schaden, seine Ängste (und alle anderen Gefühle) offen anzusprechen. Das geschieht noch viel zu wenig. Das gilt übrigens auch für Trauernde: Viele erleben es den Angaben von erfahrenen Begleitern zufolge immer wieder als ungemein hilfreich, wenn sie sich einfach verstanden fühlen, wenn sie frei von der Leber einfach über alles sprechen dürfen, ohne das Gefühl haben zu müssen, sich beschränken zu müssen.


Aleinesein ist hilfreich - jedenfalls bei Nicht-Trauernden


Ein weiterer wichtiger Tipp der Psychologin - wenn auch nur bedingt für Trauernde geeignet: Immer wieder auch das Alleinesein suchen – also als qualitätsvolles und gesundes Alleinesein. „Sich jeden Tag ein paar Minuten nur für sich selbst zu nehmen, ganz egal, wie voll der Alltag ist. Das ist ein erster Schritt: Einen Termin mit sich selber einfach in den Tagesplan einzubauen, als wäre es ein offizieller Termin“, sagte Elisabeth Mardorf damals . „Wie man diese Minuten füllt, kann von Mensch zu Mensch ganz verschieden sein. Der eine geht joggen, der andere spazieren, wieder andere halten gern ein kleines Schläfchen, meditieren oder praktizieren eine Entspannungsmethode – oder 20 Minuten Tagebuch schreiben. Es geht einfach drum, eine Zeit am Tag mit sich alleine zu sein. 20 Minuten ist ein guter Zeitraum, das kann eigentlich jeder ganz gut in seinen Tag unterbringen“ (hier geht es zum kompletten Interview). 

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Mehr Infos gibt es hier

Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?

Ebenfalls auf diesem Blog: "Sei doch bitte wieder normal" geht leider gar nicht - Trauernde brauchen langfristiges Verständnis ohne Ziele 

Ebenfalls auf diesem Blog: Zehn Tipps für einen hilfreichen Umgang mit Trauernden - für Angehörige, Freunde und Kollegen

Und im Kultur-Blog: Theater kosten den Steuerzahler einfach zuviel Geld... ist das wirklich so? Und woher kommt die Theatersubventionierung eigentlich?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen