Das Phänomen solcher "Wilder Trauerstätten" beschäftigt mich schon eine lange Zeit, schon lange, bevor ich mich entschlossen hatte, eine Ausbildung zum Trauerbegleiter zu absolvieren. Von den Behörden irgendwie geduldet (vermutlich durch gekonntes Augen-Zu-Drücken im Vorbeigehen - und solange keine Gefährdung hiervon ausgeht), sind im Alltag in den Innenstädten oder an den Straßenrändern immer mal wieder solche liebevollen Solidaritätsbekundungen mit Gestorbenen zu entdecken. Mit Blumen, Kerzen, ewigen Lichtern, Briefen, Steinchen oder Symbolen geschmückt, erinnern sie an Menschen, die anderen etwas bedeutet haben, vielleicht sogar, ohne es zu ahnen. Eine berührende Geste, so simpel und so gut.
Beim Vorbeigehen stets vor Augen: Das Gesicht des Gestorbenen
Ich erinnere mich beispielsweise an einen sehr sympathischen älteren Verkäufer der Straßenzeitung "Abseits", der seine festen Plätze auf dem Wochenmarkt an der St.-Joseph-Kirche und gegenüber des Osnabrücker Doms hatte. Als eines Tages dort Rosen lagen und kleine rote Kerzchen brannten, war sofort klar: Dieser Mann, der stets durch eine stille Freundlichkeit und gelassene Sanftheit aufgefallen war, musste gestorben sein. Und jeder, der wollte, konnte für einen Augenblick stehenbleiben und seinen persönlichen Umgang damit versuchen. Mich hat das berührt, weil ich von dem Tod des Mannes nicht gewusst hatte, seine Abwesenheit wegen einer Abwesenheit meinerseits noch nicht mitbekommen hatte - und nun doch eine Chance hatte, mich dankbar an ihn zu erinnern. Und noch heute sehe ich, wenn ich an eben jenem Stromverteilkasten vorbeigehe, an dem der Mann immer gelehnt hatte, sein Gesicht vor mir. Ohne den Mann je besser gekannt zu haben als es halt nach so einem Mini-Klönschnack beim Kauf der Zeitung so der Fall ist. Oder im Wald des Schölerbergs in Osnabrück.
Wurde hier sogar eine improvisierte Trauerfeier abgehalten?
Auch dort haben Menschen für einen Gestorbenen eine Trauerstätte geschaffen, die beinahe schon Friedhofscharakter hat. Die einfach rund um einen Baum gelegten Symbole und Fotos (in Schutzfolie) lassen den Schluss zu, dass hier regelrecht ein gemeinsames Ritual zelebriert worden ist, vielleicht eine kleine improvisierte gemeinsame Trauerfeier, ein gemeinsames Niederlegen. Für mich sind diese Orte nicht nur Stätten eines wertvollen Erinnerns, sondern auch eine innerliche Beruhigung.
Denn mir zeigen diese wilden Trauerstätten auf eine eindrucksvolle Art und Weise, wie sehr sich viele Menschen in einem Trauerprozess auf ihren Instinkt verlassen und etwas tun können, das ihnen selbst wiederum gut tut. Trauer will eben gezeigt, geteilt, gelebt und sichtbar gemacht werden - und verstanden werden. Das geschieht hier ganz unvermittelt und durch wenig Aufwand. Viele Menschen haben also einen ganz natürlichen Zugang zu alledem, das ist gut so (auch wenn sie dann vermutlich keine Trauerbegleitung brauchen, aber sei's drum, umso besser).
Die folgenden Tipps, was Trauernden gut tun könnte, lassen sich aus so einem improvisierten Trauerort auch für alle anderen ableiten:
- einen Brief an den Verstorbenen schreiben (und diesen auch abschicken, an Verwandte/Freunde beispielsweise, oder irgendwo hinhängen)
- eine Kerze anzünden und ihr Licht leuchten lassen als Symbol dafür, dass etwas weiterleuchtet
- sich einen ganz eigenen und selbst gestalteten Trauerort einrichten, der nicht an das Friedhofsgrab geknüpft sein muss.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung in Osnabrück sowie im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Mehr Infos gibt es hier.
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Ebenfalls auf diesem Blog: Wie funktioniert eigentlich Trauerbegleitung? Was bringt sie? Und wird das Ganze von den Krankenkassen bezahlt - hier klicken...
Ebenfalls auf diesem Blog: Zehn Tipps für einen hilfreichen Umgang mit Trauernden - für Angehörige, Freunde und Kollegen
Und im Kultur-Blog des Autors: Was "Babylon Berlin" wirklich zu einer ganz besonderen Serie macht - und das ist nicht alleine Bryan Ferry von Roxy Music
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