Dienstag, 8. August 2017

Nachsterben wollen: Was mache ich, wenn meine Sehnsucht so groß wird, dass ich den Verstorbenen hinterhergehen möchte? - Auftakt der neuen Serie "Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich" (Folge 1)

Osnabrück/Berlin – Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich. So heißt diese neue Serie hier auf diesem Blog – und zeitgleich auf dem Blog der Buchautorin und Trauerbegleiterin Eva Terhorst aus Berlin (siehe hier)... Witzig, wie es dazu kam. Manchmal gibt es sowas im Leben. Da schreibt Dir jemand eine E-Mail, den Du noch nicht kennst, und Du hast sofort so eine Idee, so nach dem Motto, oh klasse, dass Du Dich meldest, lass uns doch mal was ausprobieren, ich hatte da so eine spontane Idee…
So war das jedenfalls, als sich Eva bei mir meldete, die ebenfalls beim hier kürzlich vorgestellten Trauerchat aktiv ist und mein Interview dazu gelesen hatte. Was wir beide jetzt anbieten wollen, ist ein öffentlicher Erfahrungsaustausch, ein Dialog zwischen zwei Trauerbegleitern. Weil wir überzeugt sind, dass ein solches Gespräch beim Lesen allen Menschen in einer Trauer- oder Verlustkrise besser zu verstehen hilft, was sie gerade durchmachen, wenn sie einen geliebten Menschen verloren haben. Und Eva darf heute mal den Auftakt machen, na klar - also, los geht es:


Eva Terhorst aus Berlin hat mehrere Bücher zum Thema Trauer geschrieben und arbeitet unter anderem als Trauerbegleiterin. Sie betreibt auch einen Blog zum Thema Trauer. 

Lieber Thomas, heute hatte ich das Thema: Was mache ich, wenn meine Sehnsucht so groß wird, dass ich meinem verstorbenen Partner hinterhergehen möchte? Ich merke, dass das bei fast allen Menschen irgendwann einmal Thema wird, wenn der Partner oder das Kind gestorben ist. Meistens spreche ich das Thema bei meinen Klienten von selbst an und kann feststellen, dass sie dann fast erleichtert sind, wenn sie frei darüber sprechen können, ohne dafür verurteilt zu werden. Es hilft ihnen auch, wenn ich ihnen dann sage, dass das normal ist und zur Trauer dazu gehört. Eine Phase, die wieder vorbei geht. Dann wissen sie, wie sie diesen Wunsch, dem Verstorbenen zu folgen, einordnen sollen und fühlen sich ein wenig entlastet. Wie gehst du auf dieses Thema bei deiner Arbeit ein? Liebe Grüße, Eva.

Liebe Eva, da muss ich Dir ein dickes Kompliment machen – das Thema ganz aktiv von mir aus anzusprechen, habe ich tatsächlich noch nicht getan. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass es bei den Trauernden ein großes Bedürfnis geben kann, darüber zu sprechen - also über diesen Wunsch des "Hinterhergehens" oder 
des Nachsterbenwollens. Und ich kann die Motivation, die hinter diesem Wunsch steht, sehr gut nachvollziehen - letztlich sind das ja urromantische Motive. Die Vision, man wäre dann vielleicht irgendwie zusammen, in einem gleichen, wie auch immer gearteten Raum... Aber, zugegeben, das Thema macht natürlich auch mir als Begleiter Angst: Wenn ich im Gespräch das Gefühl hätte, da ist einer gerade sehr, sehr ernsthaft daran interessiert, sich aus lauter Trauer zu suizideren, dann wäre ich mit meinem Latein am Ende. Da hilft dann nur: Ab ins Auto und zusammen zum Arzt oder zur psychologischen Klinik fahren... – einliefern, Verantwortung abgeben. Hast Du das schon mal erlebt? Liebe Grüße, Thomas

Im Nebel des Unverständlichen kann man schon mal die Übersicht verlieren - so geht es vielen Trauernden.   (Pixabay.de-Foto, Creative-Commons-0-Lizenz)

Lieber Thomas, zum Glück ist es mir noch nie passiert, dass einer meiner Klienten seinem geliebten Menschen in den Tod gefolgt ist. Mir macht aber die Tendenz dorthin wenig Angst, weil ich sie nach dem Tod meiner Mutter selbst erlebt habe. Geholfen hat mir damals, dass ich die klare Vorstellung hatte, dass meine Mutter mir sagen würde, dass meine Zeit noch nicht gekommen sei und sie jetzt noch nichts mit mir im „Jenseits“ anfangen könne. Wir können ja auch gar nicht sicher sein, dass wir wirklich bei unserem geliebten Menschen landen würden, wenn wir uns zu so einem drastischen Schritt entscheiden. Mit meinen Klienten, die teilweise sehr mit diesem Gedanken beschäftigt sind, vereinbare ich, dass sie nichts in dieser Hinsicht unternehmen dürfen, bevor sie nicht mit mir gesprochen haben. Natürlich bietet das keine wirkliche Sicherheit, aber ich bemerke, dass diese Vereinbarung für sie durchaus eine Hürde bzw. Sicherheit darstellt. Ich werde so zu einer Art Instanz. Auch wirkt es gut, dass sie spüren, dass es mir wichtig ist, dass sie diese schwierige Phase überleben und ich ihnen dabei helfe. In diesem Moment fühlen sie sich dann einfach nicht mehr ganz so alleine wie zuvor. Aber im Ernstfall ist es genau wie du schreibst, dann ab ins Auto und zu einer Klinik mit entsprechender Abteilung. Liebe Grüße Eva

Liebe Eva, ich freue mich sehr für Dich, dass Du damit so gute Erfahrungen gemacht hast. Das ist ja durchaus mutig, aber Du wirst da sicher das Gespür für haben, bei wem eine solche Verabredung gut aufgehoben ist und wie weit Du da gehen kannst. Ich kann Dir allerdings nur beipflichten: Es aussprechen zu dürfen, einfach  mal darüber sprechen zu können, das ist für viele schon die erste und oft auch wichtigste Intervention. Manchmal reicht das dann auch schon. Aber nicht für alle. Deswegen sollten wir auch unbedingt noch schreiben: Wer wirklich und ernsthaft an einen Suizid denkt und diese Gedanken nicht loswird, findet gute und sogar anonyme Hilfe im Internet oder am Telefon: Kostenlose Telefonseelsorge: 0800/1110111 – anonyme Mailberatung über Internetseite: www.telefonseelsorge.de. Übrigens betonen alle, die mit Suizidprävention beschäftigt sind, immer wieder: Die meisten Suizide geschehen aus eigentlich heilbaren, depressiven Prozessen heraus! Ich finde, diese Hilfsangebote sollten wir unbedingt nochmal erwähnen – Dir, liebe Eva, sende ich liebe Grüße, Thomas.


Thomas Achenbach ist der Autor dieses Blogs, er ist in Osnabrück als Trauerbegleiter aktiv.   (C.-Achenbach-Foto) 

Lieber Thomas, das sehe ich so wie du, möchte noch ein wenig mehr unterscheiden, denn Trauer ist keine psychische Erkrankung auch wenn es passieren kann, dass man nach dem Tod eines geliebten Menschen in eine Art reaktive Depression oder Anpassungsstörung geraten kann. Die unterscheidet sich aber deutlich von einer waschechten Depression, deren Ursache man meistens nicht nachvollziehen kann. Ein gutes Unterscheidungsmerkmal ist auch, dass eine reaktive Depression oder Anpassungsstörung nach einer gewissen Zeit wieder verschwindet und nicht unbedingt medikamentös behandelt werden muss. Der Begriff Anpassungsstörung ist da beinahe selbsterklärend. Es braucht einfach seine Zeit, bis man sich an die neue Situation angepasst hat. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich um eine Situation handelt, auf die man keinen Einfluss hatte. Man konnte den Tod nicht verhindern, bleibt ungefragt ohne den geliebten Menschen zurück und muss unter Umständen sein Leben in fast allen Punkten neu organisieren und umstrukturieren. Das braucht Zeit und Kraft. Die Motivation ohne den Verstorbenen weiter zu leben, muss sich leider oft hart erarbeitet werden. In meinem Buch „Ich konnte nichts für dich tun: Trauern und Weiterleben nach einem Verlust durch Suizid“ (Link hier) gehe ich genauer auf die Unterscheidung Depression, reaktive Depression und Anpassungsstörung ein. Liebe Grüße Eva

Liebe Eva, ich freue mich darauf, diesen Dialog bald fortsetzen zu können zu weiteren Themen. Herzliche Grüße, Thomas

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 „Zwei Trauerbegleiter unterhalten sich“: Hier tauschen sich die beiden Trauerbegleiter Thomas und Eva über die Themen ihrer Arbeit aus. Das soll zu einem besseren Verständnis beitragen, warum Trauerbegleitung wichtig ist und euch helfen, besser zu verstehen, was ihr gerade durch macht, wenn ihr einen geliebten Menschen verloren habt. Auch für Angehörige von Trauernden kann dieser Dialog hilfreich sein. Denn es ist manchmal nicht so leicht nachzuvollziehen, was in jemandem vor sich geht, wenn er trauert. So kommt es schnell zu Missverständnissen und gut gemeinten Ratschlägen, die oft das Gegenteil vom Beabsichtigten auslösen. Sehr, sehr gerne können Trauernde, Angehörige, Trauerbegleiter und alle, die mit dem Thema zu tun haben, mit ihren Kommentaren dazu beitragen, dass dieser Dialog lebendig und hilfreich sein kann! Mehr Infos über Eva und ihre Arbeit gibt es hier....
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier.

Hier geht es zum ersten Teil des Jahresthemas Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz bzw. Trauer im Berufsleben - bitte hier klicken.

Hier geht es zum zweiten Teil des Jahresthemas Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz bzw. Trauer im Berufsleben - bitte hier klicken.

Ebenfalls auf diesem Blog: So funktioniert der Trauer-Chat im Internet; ein Modell, das immer erfolgreicher wird - Interview mit dem Macher & Moderatoren

Ebenfalls auf diesem Blog: Was soll nach einem Todesfall gefeiert werden? "Nur" der Todestag - oder auch noch der Geburtstag des gestorbenen Menschen?

Ebenfalls auf diesem Blog: Keine Sorge, alles normal - was Trauernde in einer Verlustkrise alles so tun und warum einem das nicht peinlich sein sollte

Und im Kultur-Blog des Autors: Genug gemeckert, wir sollten froh sein über unsere Theater - eine Liebeserklärung und eine Lobpreisung zum Welttheatertag

2 Kommentare:

  1. Was für ein schönes neues Format, dieses "Fachgespräch" unter Trauerbegleitern! Ich freue mich auf weitere Gespräche und Inspirationen! Herzlichst, Christine Kempkes

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    1. Oh, vielen Dank, das freut mich - wir haben uns intern auch gedacht, dass das ein starkes Format sein könnte, aber, klar, da bleibt immer so eine Macherskepsis... :;-)

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