Osnabrück – Merkwürdig. Aber zum Thema Trauer in der Arbeitswelt bzw. Trauer am Arbeitsplatz gibt es sehr wenig. Fast nichts (bis auf eine thematisch darauf bezogene Ausgabe der Zeitschrift "Leidfaden" aus dem Jahr 2012). Keine Bücher, soweit ich das überschauen kann. Kaum Fachleute, von ein bis zwei mir bekannten Ausnahmen mal abgesehen. Kaum Netzwerke. Höchste Zeit, das zu ändern. Denn wie arbeitsfähig Menschen in einer Verlustkrise sind und mit was für zusätzlichen Fragen beispielsweise ein Team konfrontiert ist, in dem ein Trauernder mitarbeitet - oder ein Team, das einen gestorbenen Kollegen zu beklagen hat - sind wichtige Fragen. Zumal in Zeiten der mitarbeiterorientierten Personalpolitik. Auftakt für mein Thema des Jahres.
Gehört so etwas wie Trauer überhaupt an den Arbeitsplatz? Ist das nicht Privatsache? So wie Liebe? Wer so denkt, sollte wissen, dass Menschen in einer akuten Verlustkrise verschiedene Einschränkungen erleben können (aber nicht müssen). Beispielsweise einen eklatanten Mangel an Konzentrationsfähigkeit, der so stark sein kann, dass so etwas wie das Lesen eines Buches, einer Zeitschrift oder alleine schon einer E-Mail schon zur Herausforderung wird - weil eben alles im Inneren von der Trauer und den damit einhergehenden belastenden Gefühlen ausgefüllt sein kann. Es kann auch sein, dass sich Trauernde von großen Wellen von Traurigkeit oder Verzweiflung überrollt fühlen. Einen Menschen in einer solchen Lage an neuralgischen Punkten arbeiten zu lassen - sagen wir, beispielsweise, in einem Stellwerk oder in der Steuerung eines Stromkraftwerks -, kann mutig sein. Wenn nicht gar gefährlich. Muss es aber auch nicht.
Sensibel: Was dem einen gut tut, findet der andere scheußlich
Grundsätzlich gilt, erstens: Trauer ist für jeden Menschen etwas anderes. Und so wie es nicht die eine Trauer gibt, die immer zu einem festen Zeitpunkt einsetzt, ist es auch nicht möglich, die Auswirkungen zu generalisieren. Es gibt beispielsweise auch Menschen, die in ihrem täglichen Arbeitsumfeld eine wirkungsvolle Entlastung zu ihrem von der Trauer ausgekleideten Alltag daheim sehen und die es als hilfreich erleben, eine feste Aufgabe mit festen Rhythmen und Zeiten erfüllen zu dürfen. Es gibt Arbeitnehmer, die wollen an ihrem Arbeitsplatz in einem Trauerfall lieber gar nicht darauf angesprochen werden, es gibt Arbeitnehmer, denen es gut tut, wenn ihnen eine gewisse Solidarität gezeigt wird (aber auch nicht zuviel). Das Thema ist also - hochsensibel. Nicht allein deswegen.
Denn zweitens gilt, grundsätzlich: Trauer in der Arbeitswelt ist immer systemisch zu betrachten. Man muss sich das vorstellen wie ein Mobile: Gerät ein Teil in Schwung oder wird herausgerissen, ist immer auch das gesamte Gebilde in Bewegung. Das kann beispielsweise zusätzliche Belastungen mit sich bringen: Leistet sich ein Mitarbeiter viele Fehler, vielleicht sogar ärgerliche und Probleme mit sich bringende Fehler, hat das Auswirkungen auf seine Kollegen, seine Vorgesetzten, seine Abteilungen, vielleicht das ganze Unternehmen. Fällt ein Mitarbeiter vielleicht lange aus, sind andere stärker belastet, müssen mehr arbeiten - in Kleinbetrieben mit wenigen Mitarbeitern führt das schnell zu massiven Problemen. Es wäre indes fatal, es dem Trauernden anzulasten oder ihn in eine Abseitsposition zu bringen, die ihn nocht stärker belastet. Noch ein Grund mehr, sich dem Thema intensiver zuzuwenden. Es gibt noch mehr Gründe.
Menschen achtsam zu begegnen zeugt von Größe - auch unternehmerisch
Weil schließlich, drittens, gilt: Menschen in einer Verlustsituation sind sehr sensibel. Wer sich ihnen mit der nötigen Achtsamkeit und Empathie zuwendet, der tut etwas, was nicht allen gelingt und erntet Achtungspunkte (wenn man so wil: Bonuspunkte). Wenn es also Arbeitgebern gelingt, sich in einem solchen Bereich als gut vorbereitet und gut reagierend zu präsentieren, strahlt es wiederum auf sie als Unternehmen ab. Das zeugt von Größe. Trauer sollte also idealerweise ein Human-Ressources-Thema sein. Und die Abteilungen sollten ein wenig, im Rahmen des Möglichen, darauf vorbereitet sein. Denn es stehen ja eine ganze Reihe von Fragen im Raum. Zum Beispiel:
Was können die Führungskräfte tun? Was können die Arbeitnehmer selbst tun? Was können die Kollegen tun? All diese Fragen und mehr sollen im Verlauf des Jahres auch auf diesem Blog beantwortet werden, es wird eigene Anregungen und Ideen und Diskussionen dazu geben, es sollen Experten zu Wort kommen. Das ist nötig. Denn wie ein kurzer Selbsttest zeigt, gibt es zu dem Thema wirklich zu wenig. Auf der Suche nach Literatur habe ich die Stichworte "Trauer am Arbeitsplatz" bei den großen beiden digitalen Verkaufsplattformen eingegeben. Und, siehe da: Amazon will mir an erster Stelle ein Buch verkaufen über "Trennungsmanagement in Unternehmen - Trennungsprozesse fair und transparent gestalten." Gefolgt von einem Buch, das sich um Arbeitsunfälle dreht. Und bei E-Bay: "Sex am Arbeitsplatz" an zweiter Position, nach ebenjenem Buch über Arbeitsunfälle. Es ist keine zu steile These, wenn ich sage: Das wird Trauernden nicht gerecht.
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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung). Er hält auch Vorträge zum Thema Trauer und Umgang mit Trauernden. Mehr Infos gibt es hier.
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Die Serie "Trauer in der Arbeitswelt/Trauer im Berufsleben", alle Folgen:
Hier geht es zum ersten Teil des Jahresthemas Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz bzw. Trauer im Berufsleben - bitte hier klicken.
Hier geht es zum zweiten Teil des Jahresthemas Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz bzw. Trauer im Berufsleben - bitte hier klicken.
Hier geht es zum dritten Teil des Jahresthemas Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz bzw. Trauer im Berufsleben - bitte hier klicken.
Hier geht es zum vierten Teil des Jahresthemas Trauer in der Arbeitswelt/Trauer am Arbeitsplatz bzw. Trauer im Berufsleben - bitte hier klicken.
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Ebenfalls auf diesem Blog: Tango auf der Trauerfeier, die Trauerrede als Audiodatei - was heute bei modernen Trauerfeiern alles möglich sein sollte
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