Dienstag, 21. Februar 2017

Keine Sorge, alles normal: Was Trauernde oft so tun und warum es Angehörigen und Freunden nicht peinlich sein sollte - ein Plädoyer für ein entspannteres Miteinander (Tipps für den Umgang mit Trauernden)

Osnabrück - Was Trauernde manchmal so tun, ist für Außenstehende oft nur schwer verständlich oder auch nur schwer nachvollziehbar. Ja, es kann sogar sein: Angehörige oder Freunde oder Kollegen schämen sich vielleicht dafür. Sie sind irgendwie unangenehm berührt, wollen das nicht so sehen.. oder schütteln mit dem Kopf. Dabei gilt für vieles, was Menschen in Verlustkrisen so tun: Alles ganz normal! Das Reden mit den Toten. Das Fühlen der Dinge des gestorbenen Menschen. Und noch mehr. Dieser Text ist ein stark bearbeiteter Auszug (bzw. ein mögliches inhaltliches Modul) aus einem Vortrag zum Thema Trauer, den ich gelegentlich halte - gleichzeitig hatte ich den Text exklusiv als Beitrag zur Blogparade "Alle reden über Trauer" vorgesehen, die die Bloggerin Silke von "In lauter Trauer" gestartet hatte (mehr Infos dazu gibt es hier).

Menschen in einer Verlustkrise sind innenraumgreifend von ihrer Trauer ausgefüllt… das ist das alles beherrschende Thema, da gibt oft es nichts anderes – das macht es für Angehörige, Freunde und Bekannte oft so schwer damit umzugehen, weil man das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten, das Gefühl, dass sich nichts tut, dass es nicht weitergeht, dass die Menschen irgendwie feststecken – und das macht einen irgendwann dann mürbe oder vielleicht sogar zornig oder man versucht den Kontakt zu vermeiden, bewusst oder unbewusst…. Aber wechseln wir doch einmal die Perspektive. Gucken wir mal darauf, wie es den Trauernden selbst geht. Versuchen wir ein kleines Stück einzutauchen in ihre Welt.

Kerzen anzünden, damit das Licht der Liebsten weiterleuchtet - ein schönes Ritual. Menschen in einer Verlustkrise sind oft innenraumgreifend von Trauer ausgefüllt, da gibt es kaum Platz für anderes.    (Thomas-Achenbach-Foto)


Manchmal ist einfach alles zuviel. Trauernde kennen das: Selbst die simpelsten Alltagstätigkeiten können einen dann überfordern…. Alles, was vorher so ganz nebenbei und ganz unbedacht geschehen ist, wird zur Mammutaufgabe. Die Spülmaschine ausräumen. Die Wäsche waschen. Ein Telefonat fühlen. Manchmal fehlt schon für solche vermeintlichen Kleinigkeiten die Energie. Das ist nicht nur in der Anfangsphase so, das kann auch später immer wieder mal ausbrechen. Stattdessen stehen andere Dinge im Fokus. 


Mit den Toten reden gehört oft dazu - das kann gut tun


Es ist ganz oft so, dass Menschen in einer Verlustkrise mit den Menschen sprechen, die sie verloren haben, dass sie in irgendeinen Kontakt gehen mit ihnen, vielleicht am Grab, vielleicht an einer Stelle in der Wohnung, wo ein Foto aufgestellt ist. Und es tut ihnen gut, so einen Austausch zu suchen. Sogar Männern tut das gut, wie das Buch "Männer trauern anders" erfahrbar macht. Denn wie Männer trauern, das hat der Autor Dr. Martin Kreuels untersucht, und er hat mit trauernden Männern gesprochen und ein Buch geschrieben darüber – und darin finden wir den Bericht eines Mannes, der sich mit seiner toten Frau regelmäßig austauscht über die Themen seines Lebens, sich sogar richtig von ihr beraten lässt in diesen imaginären Dialogen. 


Es geht nicht ums "Loslassen" - denn das hilft gar nix


So etwas tut Trauernden gut und das ist richtig und gut so, weil es ebenfalls dazu beitragen kann, eine neue Bindung zum gestorbenen Menschen zu finden… Und das ist soviel wichtiger als das "Loslassen", denn es geht nicht ums "Loslassen", es geht darum, eine so feste neue Bindung zu den Gestorbenen zu erreichen, dass sie auch diesen letzten schon gegangenen Schritt, also den Tod, aushält. Der englische Schriftsteller Fort Madox Ford bringt das ganz wunderbar auf den Punkt, indem er sagt: „Man heiratet, damit das Gespräch nicht abreißt“ – und daher stellt der englische Autor Julian Barnes die Zusatzfrage: "Warum soll man dem Tod gestatten, das zu unterbrechen?".  Und Barnes - der hier auf diesem Blog noch öfter eine Rolle spielen wird - schreibt außerdem über seine tote Frau: „Also spreche ich ständig mit ihr, das kommt mir ebenso normal vor wie es notwendig ist…“ 


Im Bett des toten Kindes schlafen - warum denn nicht?


Was Trauernden ebenfalls gut tut, ist es, ihre Sinne anzuregen. Fühlen, Riechen, Schmecken, dadurch eine Nähe zum gestorbenen Menschen spüren. Ein Beispiel: Wir haben in unserer Trauerbegleiterausbildung die Geschichte eines Ehepaares gehört, das ihr Kind verloren hatte. Und nach dem Tod hatte einer der beiden Partner, sagen wir, die Frau, damit begonnen, nachts im Bett des gestorbenen Kindes zu schlafen. Weil sie sich dort ihrem Kind nahe gefühlt hat, weil es ihr einfach gut getan hat. Der Mann hatte das nicht verstanden, er fand das furchtbar, er hat geschimpft. Bis er sich eines Nachts selbst ins Bett des gestorbenen Kindes gelegt hatte. Und von da an wechselten sich die beiden immer ab. Warum auch nicht?


Ein, zwei oder mehr Kleidungsstücke werden ein Stofftier: Jennifer Arndt-Lind und Hendrik Lind zeigen ihre „Mapapus, individuell gefertigte Puppen als Seelentröster. (Thomas-Achenbach-Foto)

Auch die so genannten Mapapus ("Mama-Papa-Puppen") funktionieren deswegen so gut, weil sie so geschickt die Ebene der Sinne bedienen - hierbei handelt es sich um Puppen, die aus Kleidung genäht werden, also aus getragener Kleidung, die oft noch sehr lange nach den Menschen riecht, die sie getragen haben. Ursprünglich für Kinder gedacht, deren Eltern sich trennen - daher der Name -, sind die Stofftiere auch im Trauerfall gefragt. Auf der Messe "Leben und Tod" habe ich die Mapapus und ihre Macher kennenlernen dürfen und mir das Angebot angucken dürfen - über einen Mangel an Arbeit können sich die beiden offenbar nicht beklagen, wie sie sagen, das Geschäft läuft. Klar: Wer die Sinne ansprechen kann, kommt Menschen in einer Verlustkrise entgegen. Dann das Reden. 


Immer wieder das Gleiche - Warum das Reden so wichtig ist


Auch das muss sein. Das immer-wieder-wieder-wieder-darüber-Reden. Vor allem das geht Angehörigen und Freunden schnell auf die Nerven. Warum denn immer das Gleiche reden? Warum sich immer und immer wieder das Gleiche anhören müssen? Hier ist wichtig zu wissen, dass dieses scheinbar immergleiche Aufarbeiten des Todesfalls und all seiner Folgen für Menschen in einer Verlustkrise eine ganz wichtige Funktion erfüllt. Denn es geht in Wahrheit um das Begreifen. Es geht darum, sich einem Verstehen dessen, was geschehen ist, Stück für Stück anzunähern. Wer kann schon verstehen, was der Tod ist? Das Thema ist viel zu groß, vor allem für Menschen in einer Krise. Aber immer wieder darüber reden, immer wieder die Situationen erzählen, das kann so etwas wie ein Begreifen möglich machen. Ganz langsam und Schritt für Schritt. 


Nachsterben wollen: "Die Frage des Selbstmords stellt sich früh..." 


Auch das "Nachsterben wollen" gehört dazu. Ich zitiere Julian Barnes, der in seinem bemerkenswerten Buch „Lebensstufen“, übrigens ein ganz ganz großartiges Buch über den Tod seiner Frau schreibt: „Die Frage des Selbstmords stellt sich früh und vollkommen logisch...“ – Er spricht hier von Selbstmord, deswegen lasse ich den Begriff so stehen. Auch wenn ich von den "Angehörigen um Suizid" lernen durfte, dass das ein schlechter Begriff ist – weil Mord nun einmal Mord ist und damit etwas Kriminelles. Aber ein Suizid ist das nicht.


Sofort-Hilfe bei Suizidgedanken - unbedingt ernst nehmen!


Klar, wenn jemand plötzlich von seinem eigenen Tod spricht, von einer Sehnsucht danach, gehen bei Angehörigen, Freunden oder Kollegen alle Alarmlampen an! Und das mit Recht! Jedoch ist die dann oft gewählte Reaktion, das schnelle Wegreden oder Wegschieben des Themas, leider die falsche. Was stattdessen geschehen sollte, ist das Reden. Ernst nehmen. Gucken, wie ernst es ist (ACHTUNG! Was bei akuten Suizidgedanken helfen kann, folgt im nächsten Absatz).


Dranbleiben, nicht weglaufen, hingucken, reden lassen


Beim Thema Suizid gelten seit meiner Ausbildung für mich zwei Dinge: Erstens: Ich habe weniger Angst vor dem Thema und davor mit den  Menschen darüber zu sprechen, gemeinsam auszuloten, wie ernst das ist (manchmal ist es für Menschen schon entlastend genug, das Thema auszusprechen oder ansprechen zu können). Zweitens: Wenn zu bemerken ist, dass sich die Gedankenschleifen tatsächlich auf dieses Thema festgebissen haben, wenn es das vorherrschende Thema ist, dann ist sofort Hilfe gefragt oder die Angehörigen sind gefragt, diese Hilfe umzusetzen oder anzuregen – die Telefonseelsorge anrufen, in ein psychologisches Klinikum fahren, sich vielleicht selbst dort zum stationären Aufenthalt melden, sofort einen Arzt konsultieren oder auch Feuerwehr oder Polizei anzurufen. Hauptsache handeln. Das gilt vor allem für alle, die sich mit akuten Suizidgedanken plagen: Bitte handeln! Jetzt! (Kostenlose Telefonseelsorge: 0800/1110111 - Mailberatung über Internetseite: www.telefonseelsorge.de)


All die Dinge in den Schränken - sie haben noch eine Funktion


Nichts wegwerfen können…. Oft ein Streitpunkt unter Angehörigen. Da liegen auf einmal Dinge in den Schränken, die keine Funktion mehr erfüllen. Wochen, Monate, oft auch Jahre liegen diese Dinge da und nehmen ihren Platz ein. Klar, dass die naheliegende Reaktion für alle Menschen ohne emotionale Krisenfaktor lautet: Die können jetzt bald mal weg. Aber es wird dabei oft übersehen oder falsch aufgefasst, wie schmerzvoll das Wegwerfen von Dingen für Trauernde oft ist. Vor allem Kosmetik und Kleidung, was ja oft beides als "zweite Haut" bezeichnet wird - für Menschen in einer Verlustkrise ist es vom Gefühl her genauso, als würden sie den geliebten, gestorbenen Menschen ein zweites Mal wegschmeißen. Und wer kann das schon? Was es braucht, ist auch hier: Eine neue Bindung an den gestorbenen Menschen zu finden. Eine, die nicht (mehr) über Gegenstände funktioniert. 


Wenn die Schuld einen plagt - und wo es Hilfe gibt


Ein weiteres wichtiges Thema, aber eines, das hier jetzt den Rahmen sprengen würde, sind Schuldgefühle. Manche Trauernde plagen sich damit - für Außenstehende oft besonders schwer nachvollziehbar. Aber das ist eigenes Thema wert und soll noch an anderer Stelle in diesem Blog behandelt werden. Bleibt am Ende noch eine kleine Bemerkung – soviel Eigenwerbung muss erlaubt sein: Wenn Sie als Angehörige oder Freunde nicht mehr können oder das Gefühl haben, dass es ihnen zuviel wird, dann sind wir ja da – ausgebildete Trauerbegleiter, es gibt mehrere, auch in ihrer Nähe, es reicht manchmal schon ein einziges Gespräch, vielleicht eine einzelne Trauerberatung. Es reicht manchmal das Gefühl, dass man einen Ort hat, wo man hingehen könnte…

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Der Autor dieser Zeilen bietet Trauerbegleitung an in Osnabrück und im Osnabrücker Land an und hat eine Ausbildung zum Trauerbegleiter absolviert (Große Basisqualifikation gemäß des Bundesverbands Trauerbegleitung) und bietet Podcasts rund um das Thema Trauer an (bitte hier klicken). Thomas Achenbach ist der Autor der Bücher "Männer trauern anders - was ihnen hilft und gut tut", 168 Seiten, Patmos-Verlag und "Mitarbeiter in Ausnahmesituationen - Trauer, Pflege, Krise", 220 Seiten, Campus-Verlag. Mehr Infos auf www.thomasachenbach.de

Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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Der Podcast zu diesem Blog: Warum eine bayerische Behörde mit einer bislang einmaligen Initiative zum Vorreiter in Sachen Trauerkultur wird - ein Interview

Ebenfalls auf diesem Blog: Tipps zum Umgang mit Trauernden und mit Trauer - was Menschen in einer Trauer- und Verlustkrise hilft und was man Trauernden sagen kann 

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Lesungen, Vorträge, Workshops, Seminare, Trauergruppen und mehr: Alle aktuellen Termine mit Thomas Achenbach finden sich unter diesem Link 

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1 Kommentar:

  1. Vielen Dank, das war sehr hilfreich für mich. Ich dacht bereits, nur ich bin so „seltsam“ und halte an persönlichen Gegenständen fest. Am 10. Februar ist mein jüngerer Bruder, zu dem ich ein extrem enges, liebevolles Verhältnis hatte ( unsere Mutter ging bereits vor 21 Jahren), ganz plötzlich an einer Hirnblutung gestorben. Seitdem steht kein Stein mehr auf dem anderen. Das Verständnis meiner Familie und Freunde nimmt bereits merklich ab, da es doch langsam „weitergehen“ sollte. Aber so einfach ist es eben nicht. Und belächelt werde ich auch dafür, dass ich mein Kopfkissen durch seines ausgetauscht habe, 2 seiner getragenen, nach ihm riechenden Hoodies im Schrank hängen habe, in die ich mich immer wieder mal einwickel, seine Alltagsgegenstände wie Duschgel, Gesichtscreme usw. in meine integriert habe usw. Das alles macht ihn für mich noch greifbar und lebendig. Denn auch, wenn mein Verstand weiß, was passiert ist, hat es mein Herz und meine Seele noch immer nicht verstanden.

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